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CONFARE CIO IMPACT CHALLENGE WINNER Marc Pfeiffer, Steuerverwaltung des Kantons Bern: Wieviel Agilität verträgt die öffentliche Verwaltung?

by Barbara Schweinberger

CIOs und IT-Manager machen die Welt zu einem besseren Ort. Sie leben neue Führungsprinzipien vor, schaffen die Voraussetzungen für Nachhaltigkeit und Umweltschutz oder helfen gesellschaftlichen Herausforderungen mit Digitalisierung und Technologie erfolgreich zu begegnen. Sie verändern Unternehmen oder sogar ganze Branchen, helfen Menschen, die in Not sind und leben gesellschaftliche Verantwortung vor.

Bei der DACH-weiten Confare CIO IMPACT Challenge zeichnen wir sie aus, diese Weltverbesserer und Verantwortungsträger. Die Gewinner wurden beim Confare #CIOSUMMIT Frankfurt gekürt.

Confare Impact Challenge

Marc Pfeiffer ist CIO und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Steuerverwaltung des Kantons Bern. Ausgerechnet hier halten Agile Management Methoden Einzug und rütteln an den Grundfesten der Organisation. Kein Wunder, dass es auch Zweifel und Ängste gibt. Mit Weiterbildung und aktivem Vorleben meistert man diese Herausforderung. Für seine Leistungen wurde Marc Pfeiffer mit dem Confare #ImpactAward 2021 in der Kategorie “Game Changing Impact” ausgezeichnet!

Confare #CIOSUMMIT Frankfurt

Mit „Wir Digitalisten“ und agilen Methoden hat sich sehr viel verändert bei der Steuerverwaltung des Kantons Bern – Wie war die Ausgangslage? Warum waren die Veränderungen so wichtig?

Die Steuerverwaltung kennt dieselben Herausforderungen wie viele Unternehmen der Privatwirtschaft: Zunehmender Veränderungsdruck durch mehr und schneller folgende gesetzliche Vorgaben, mehr Aufgaben bei gleichzeitig weniger Personal, mangelnde Abstimmung zwischen Business und IT, zunehmender Formalismus und zu wenig Pragmatismus. Dies alles führte zu Unzufriedenheit, Missverständnissen und unnötigem Hin und Her. Die Abstimmung untereinander fehlte und der Fokus lag zu wenig auf den Kundenbedürfnissen.

Im Laufe der Erarbeitung einer Digitalisierungs-Strategie prüften wir verschiedene Lösungs-Optionen. Schliesslich haben wir uns für die agilen Verfahren entschieden.

Warum? Die Business-Vertreter wie Product Owner und IT-Rollen arbeiten jetzt im selben agilen Team. Dies führt zu schnelleren und einfacheren Abstimmungen zwischen den Partnern, mehr Transparenz und Offenheit. Dank Agile können wir auf Veränderungen unserer Roadmap flexibler reagieren und wir sind insgesamt schneller in der Umsetzung von neuen Vorhaben.

Der Schlüssel für den Erfolg ist das Miteinander aller Beteiligten, welcher diesen Change mittragen müssen – nur im Team sind wir erfolgreich. Damit wir für die Digitalisierung respektive für die Digitale Transformation alle Mitarbeitenden des Unternehmens an Bord haben und für das Thema sensibilisieren, haben wir das Programm „Wir Digitalisten“ entwickelt. Wir bieten zehn Module als freiwillige Brown-Bag Sessions über Mittag an.

In den Grundlagen-Modulen zeigen wir den Mitarbeitenden auf, warum die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung derart wichtig ist. Die Welt wird digital – ob man das gut findet und mitmachen will oder nicht. Das wollen wir vermitteln. Unsere Chance besteht darin, unser Unternehmen aktiv zu transformieren und zu gestalten. In den weiteren Modulen geht es unter anderem um Digital Mindset, eine Einführung in agile Methoden und Werkzeuge, Digitale Technologien oder Business & Social Media.

Eine öffentliche Verwaltung ist auf Stabilität und Kontinuität ausgerichtet. Um diesen Change umsetzen zu können, mussten wir einige Grenzen verschieben, mit Widerständen umgehen und viel Kritik einstecken. Aber es hat sich gelohnt. Inzwischen orientieren sich andere Verwaltungen und Firmen an unserem Vorgehen. Dieser Erfolg ist das Verdienst unserer Mitarbeitenden, welche sich trotz erheblicher Risiken auf die agile Reise eingelassen haben und Tag für Tag eine tolle Leistung erbringen.

Wie wirkt sich das auf den Kunden der Verwaltung, den Bürger, aus?

Impact Challenge Nominee - Marc Pfeiffer Blogmemes2Unserer Vision beinhaltet unter anderem die Formel „einfach“. Wir sind daran, verschiedene Portale und Applikationen neu zu bauen. Dabei setzen wir auf Methoden wie Design Thinking. Vor allem beziehen wir jedoch unsere Kundinnen und Kunden ein. Denn, die neuen Anwendungen sollen für sie einfacher und verständlicher werden. Wir wollen mit den bestehenden Daten der steuerpflichtigen Person möglichst viel Arbeit abnehmen und ihre Steuerdeklaration soweit als möglich vorausfüllen. Dabei bleibt die steuerpflichtige Person stets Owner ihrer Daten. Sie bestimmt selbst, wie viele Daten wir verwenden und welche sie manuell eingeben möchte. Dort, wo sie dies wünscht, soll sie bei der Eingabe mit intelligenten Assistenten unterstützt werden. Als Anbieter öffentlicher Dienstleistungen sind wir natürlich trotz Digitalisierung verpflichtet, den Kundinnen und Kunden den Geschäftsverkehr mit uns nach wie vor auch in analoger Form anzubieten.

Wie geht man mit Gegenwind um?

Wenn man als Amt in einer Behörde neue Wege beschreitet, ist man – gleich wie auch die erste Abteilung in einem privatrechtlichen Konzern – mit kritischen Fragen konfrontiert und spürt Skepsis. Zum einen ist es wichtig, dass alle verstehen, WARUM man diesen Weg gehen will und muss. Diese Argumente müssen einfach, transparent und für jede und jeden verständlich sein. Wichtig ist, dass man in den ersten 2-3 Jahren unzählige Male bei jedem Meeting mit Mitarbeitenden, Management, Kundinnen und Kunden, in der Politik sowie weiteren Stakeholdern intern und extern erklärt, warum der neue Weg der richtige ist.

Zum anderen muss die Geschäftsleitung geschlossen hinter dem Vorhaben „Agil“ stehen. Tut sie das nicht, rate ich davon ab, diesen Weg einzuschlagen. Scheitern ist garantiert. Damit sie dies kann, muss das Kollegium auch entsprechend ausgebildet sein. Ich habe mit unserer Geschäftsleitung in mehreren Workshops die Themen der Digitalisierung, Digitaler Transformation und agilen Verfahren vertieft. Dazu gehörte auch, aufzuzeigen, dass ein solcher Change nicht ohne Schwierigkeiten durchläuft und es seitens der Geschäftsleitung insbesondere in schwierigen Zeiten Geschlossenheit und Rückendeckung braucht. Meine Kolleginnen und Kollegen in der Steuerverwaltung des Kantons Bern haben genau dies jederzeit bewiesen und einen perfekten Job gemacht.

Gegenwind übersteht man am besten, wenn man diesen ernst nimmt und darauf eingeht. Begründete und berechtigte Kritik bringt Vorhaben weiter. Darum ist es wichtig, die Gründe für die Kritik zu verstehen. Vorgesetzte Stellen möchten sich nicht unnötigen Risiken aussetzen, dem Controlling ist es wichtig, dass das Unternehmen die Finanzen im Griff hat, Mitarbeitende haben allenfalls Angst um ihren Job und das Middlemanagement sieht unter Umständen seine Position gefährdet. Ein agiles Setup kann mit all diesen Vorbehalten umgehen. Am besten bindet man kritische Personen oder Rollen möglichst gut ein und zeigt ihnen, was sie gewinnen. Bei uns hat sich beispielsweise das Controlling aktiv eingebracht und so Transparenz und Sicherheit erhalten und unterstützt das Vorhaben ohne Vorbehalte.

Confare CIOSUMMIT Frankfurt

Was ist ausschlaggebend, um Mitarbeiter und Kollegen für diese Reise zu begeistern? Wie gelingt es, möglichst viele Menschen auf diese Reise mitzunehmen?

Unsere Mitarbeitenden wünschten sich eine Veränderung und sie nahmen den agilen Ansatz mit Begeisterung auf. Als sie erkannten, wie sich dies auf ihre persönliche Rolle und Aufgaben auswirkt, entstanden Ängste und bei einigen die Befürchtung, dass sie nicht mehr genügen und dann ersetzt würden. Das konnten wir entkräften, indem wir garantierten, dass niemand seine Stelle verliert, wenn er oder sie sich auf die agile Arbeitsweise einlässt. Wir sind überzeugt, dass jeder und jede Mitarbeitende die nötigen Werkzeuge lernen kann.

Entscheidend sind aber nicht nur die Tools und Prozesse, sondern die kulturellen Veränderungen. Wie tiefgreifend diese Auswirkungen sind, haben wir zu Beginn massiv unterschätzt. Die Entwicklung einer gelebten neuen Unternehmenskultur braucht enorm viel Zeit.

Wir erkennen den Menschen als zentralen Faktor der Digitalen Transformation. Alles was wir tun, passiert für, mit oder durch Menschen. Dazu gehören die Kundinnen und Kunden, an deren Bedürfnisse wir uns massgeblich ausrichten, Mitarbeitende als aktive und gestaltende Stakeholder, sowie Prozesse, welche die Mitarbeitenden in der Arbeit unterstützen und begleiten, eine Kultur, welche Mitarbeitenden und Führungspersonen Sicherheit und Zuversicht für Veränderungen und deren Konsequenzen gibt sowie Lieferanten, welche wir als Partner eng in unser Ökosystem einbinden.

Was hat sich in der Zusammenarbeit mit Partnern und Lieferanten verändert?

Impact Challenge Nominee - Marc Pfeiffer Blogmemes

 

 

Bei uns sind die Developers nicht intern angestellt, sondern bei drei externen Software-Partnern tätig. Alle anderen Rollen im agilen Setup führen wir überwiegend intern. Auch unsere Partner-Firmen mussten sich anpassen und sich auf neue Zusammenarbeitsformen einlassen. Uns ist wichtig, dass wir ein partnerschaftliches Kunden-Lieferanten-Verhältnis leben. Damit wir die Priorisierung der Vorhaben und die Gestaltung der Software und die Finanzierung sowie die agilen Teams entscheidend steuern können, nehmen wir mehr Einfluss und planen gemeinsam mit den Partnern die anstehenden Arbeiten in den agilen Teams. Dadurch steigt für die Partner die Planungssicherheit und Stabilität, was wiederum die Kosten senkt. Das setzt voraus, dass die Partner transparenten Zugang zu unserer Portfolio-Planung und Roadmaps haben. Das ist für uns klar und ein Mehrwert für alle Parteien.

Wieviel gesellschaftliche Verantwortung trägt man als Führungskraft? Was bedeutet das für in der täglichen Praxis?

Öffentliche Verwaltungen sind normalerweise klassisch organisiert mit Auftragsvergabe über die Hierarchiestufen. Mit der Agilität erhalten die Mitarbeitenden mehr Verantwortung und Eigeninitiative. Das eigentliche Vorgesetztenverhältnis bekommt damit eine neue Dimension.

Als Führungskraft muss man bereit sein, die kulturelle Veränderung mitzutragen und vorzuleben. „Digital Mindset“ gilt nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern insbesondere auch für die Führungskräfte, welche sich hin zu Digital Leaders entwickeln. Im Zentrum stehen hier Elemente wie Vertrauen, Offenheit und Transparenz, partnerschaftlicher und fairer Umgang und Veränderung als Chance zu erkennen.

Insbesondere im Middle-Management sind die Herausforderungen darin spürbar, dass wir Linienverantwortung und fachliche Führung systematisch trennen. Klassische Teamleitende müssen sich entscheiden, ob sie eine Linien-Rolle als People-Manager, Entwickler, Förderer, Coach und Ausbilder übernehmen oder als Servant Leader in der Rolle Scrum Master in ein agiles Team einsteigen oder ob sie sich in einer fachlichen Rolle als Product Manager, Business Analyst, Agile Tester oder ähnlichem sehen. Dies führt einige Führungskräfte in ein Dilemma, weil sie diese Trennung eher als Verlust denn als Chance erleben.

Bei uns gehört es zur Philosophie, dass wir unsere Mitarbeitenden top ausbilden und fördern wollen. Zu diesem Zweck haben wir für alle Rollen in unserem agilen Setup ein umfassendes Ausbildungsprogramm erarbeitet, welches unseren Mitarbeitenden die Möglichkeit bietet, sich in seiner Rolle vom Junior zum Senior Expert entwickeln zu können. Es gehört zur Aufgabe jeder Führungsperson, zusammen mit seinen Mitarbeitenden den optimalen Entwicklungspfad für diese zu finden, damit diese ihr maximales Potential entfalten können.

Welche Bedeutung hat die Confare CIO Impact Challenge für Sie persönlich?

Ich hoffe, dass die Impact Challenge im Markt ausstrahlt, dass eine öffentliche Verwaltung und natürlich insbesondere die Steuerverwaltung des Kantons Bern interessante Jobs mit modernen Arbeitsbedingungen anbietet. Besonders stolz sind wir auf den im Markt unerreichten Anteil von 36% Women in Tech. Gerne möchten wir diesen auf >50% steigern!

Auf dem Markt werden möglicherweise höhere Saläre bezahlt, dafür pflegen wir einen fairen Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen, haben ein enormes Potential zur Gestaltung unserer Arbeitsumgebung und Produkte und bieten unseren Mitarbeitenden spannende Entwicklungsmöglichkeiten. Der enorm hohe Anteil an langjährigen und treuen Mitarbeitenden bestätigt diese Strategie.

Es ist uns gelungen, im Ökosystem der Verwaltung Dinge möglich zu machen, welche vorher undenkbar waren. Heute kommen andere Verwaltungen und Firmen aus der Privatwirtschaft und auch unsere Partner zu uns, lernen von uns und entwickeln das Setup gemeinsam mit uns weiter. Dies alles bringt eine grosse Verantwortung, macht uns aber auch stolz.

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