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Sicher ist, dass es kracht: Zukunftsforscher Händeler über die Zeit nach der Coronavirus-Krise

by Annecilla Sampt

Und trotzdem ist der Blick auf die Zukunft, den Erik Händeler jetzt wirft, ein positiver. Auch wenn eine schwere Krise vor uns liegt. Denn seiner Ansicht nach, ist der Coronavirus nicht die Ursache dieser Krise, sondern nur ihr Auslöser. Mit seinem Buch „Geschichte der Zukunft“ hat er 2005 einen Bestseller abgeliefert, mit dem er abseits der üblichen Klischees der Zukunftsforschung gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen auf Basis der Kondratieff-Zyklen analysiert hat. Ganz nebenbei hat er auch die Wirtschaftskrise von 2008/9 vorhergesagt. Erik ist seit Jahren regelmäßiger Gast bei den Confare Events.

Am 30. September wird er bei #CIO2020 – CIO OF THE DECADE in Frankfurt zu Gast sein, auch bei #IDEE2020 in Wien wird er Speaker sein. Wenn Matthias Horx gerade mit einem Text für Aufsehen sorgt, in dem er mit Weichzeichner eine neue gesellschaftliche Harmonie postuliert, blickt Erik auf die knallharten  wirtschaftlichen Auswirkungen. Wo sich die beiden Propheten einig sind: Die Coronavirus-Krise bedeutet einen wichtigen Schritt bei einer ohnehin notwendigen Entwicklung.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen wird deiner Ansicht nach die Coronavirus-Krise haben?

Wahrscheinlich wird in den Geschichtsbüchern einmal stehen, der Virus habe eine Weltwirtschaftskrise verursacht. Dabei war die Lage schon vorher instabil, mit Nullzinsen, dadurch überhitzten Vermögenspreisen von Aktien und Immobilien sowie einem hohen Verschuldungsgrad. Ich meine, Corona ist nur Auslöser für einen starken Konjunkturabschwung, den wir sowieso gespürt hätten. Dieser kommt, weil die technischen Möglichkeiten durchrationalisiert, aber die Arbeitsprozesse zwischen Menschen nicht ausreichend produktiv sind. Die Krise wird dafür sorgen, dass wir in Zukunft Personalarbeit, Unternehmenskultur und Zusammenarbeit in das Zentrum der Entwicklung stellen.

Was ist da passiert?

Es gibt Zeiten, da wächst die Wirtschaft stark, weil uns eine neue Basisinnovation wie Dampfmaschine, Eisenbahn oder elektrischer Strom massiv produktiver macht. Sie sparen Ressourcen, Zeit und Kosten ein, die wir für anderes verwenden können – so funktioniert Wirtschaftswachstum. Wenn die grundlegende Erfindung dann aber weitgehend durchinvestiert ist, dann werden kaum noch zusätzliche Ressourcen eingespart, aber die Preise am Markt werden immer leicht unterboten und sinken, die Kosten aber nicht. Wenn es dann kaum noch Gewinn gibt und nichts mehr, wofür es sich lohnt, zu investieren, dann braucht man kein Geld mehr auszuleihen. Deswegen sinken die Zinsen gegen Null, das freie Geld geht in die Vermögensgegenstände wie Aktien und Immobilien, deren Wert stark steigt. Bis im realen Leben ankommt, dass das technische System stagniert. Dann rutschen die Preise, und es kommt zu einem großen Börsencrash wie 1873 nach dem Eisenbahnbau beim Gründerkrach oder 1929 nach der Elektrifizierung. Auch bei uns hatte der Computer seit den 1970er Jahren Zeit und Ressourcen eingespart. Als ich meine Schreibmaschine 1990 in den Keller räumte und einen 2/86er Computer kaufte, war das ein gigantischer Produktivitätssprung. Wenn mein Computer heute 100mal schneller wird, ist meine Arbeit und null Prozent besser geworden, weil meine Produktivität von unscharfen Wissensvorgängen abhängt, bei der mir keine Technik helfen kann. Daher kommt also die Instabilität …

Wie sind die Unterschiede zur Wirtschaftskrise 2008/9?

Das hätte eigentlich das neue 1929 nach dem Computer-Strukturzyklus werden können. Aber erstens haben die Notenbanken aus der Geschichte gelernt und die Märkte so mit Geld geflutet, dass sich die Wirtschaft schnell erholte. Allerdings hatte sich im Realwirtschaftlichen kaum etwas geändert. Nur weil die Schwellenländer – China, Russland, Brasilien, Indien – noch einen großen Nachholbedarf hatten und gigantisch in höhere Produktivität investieren konnten, ging der Boom nochmal zehn Jahre weiter. Diesmal werden wir aber weder von den Schwellenländer gerettet noch einen weiteren Kredit auf den Wert unserer Währung aufnehmen können.

Du konntest die damalige Krise auf Basis der Betrachtung der „Kondratieff-Zyklen“ voraussagen. Wie wirkt sich eine solche „force majeur“ Situation auf solche Szenarien aus?

Handelskriege, Rechtspopulismus, Suche nach Sündenböcken, Arbeitslosigkeit, suche nach einem neuen Wirtschafssystem – das alles sind nur Symptome eines langen Abschwungs und haben sich immer ereignet, wenn ein langer Strukturzyklus rund um eine Basisinnovation zu Ende geht, wie es der Ökonom Nikolai Kondratieff in den 1920er Jahren beschrieb. Nun ja, ich warte seit zehn Jahren auf den großen Knall. Der aber überwunden werden kann, wenn wir rechtzeitig in die neue Dampfmaschine investieren. Nun warten wieder alle auf eine neue Technik, weil das kennen sie: Technik A durch Technik B ersetzen, und weitermachen wie bisher. Das funktioniert aber nun nicht mehr, weil der größte Teil der Arbeit immaterielle Gedankenarbeit ist: Planen, organisieren; verstehen, was der andere meint; Probleme lösen, als erster vor einer Aufgabe stehen und etwas Neues machen. Da behindern uns Grabenkämpfe, eine schlechte Streitkultur, destruktives Verhalten. Erst wenn es uns gelingt, besser mit Wissen zwischen Menschen umzugehen, werden wir ausreichend produktiv sein, um aus der Krise zu kommen.

Wie gut ist unsere Gesellschaft auf die aktuelle Situation (Coronavirus-Krise) vorbereitet? Was sollten wir daraus lernen?

Der Mensch ändert sich durch Einsicht oder durch ökonomischen Druck. Das neue Produktivitätsparadigma benötigt eine Ethik. In der der einzelne sich mit seinen Gaben frei entfalten kann; aber nicht für seine Karriere und seine Kostenstelle, sondern für das Wohl des ganzen Projektes. Statt dumpfer Gruppenethik, die weltweit verbreitet ist, und eines rücksichtlosen Individualismus, wird nur produktiv sein, wer ein echtes Interesse hat am gleichberechtigten Wohlergehen der anderen. Eine Universalethik ist am produktivsten im Umgang mit Wissen. Deswegen werden die Mitteleuropäer Vorteile haben gegen zu individualistische Amerikaner und zu gruppenethische Chinesen.

Welche Vorhersagen würdest du für die Zeit nach der Coronavirus-Krise wagen?

Die Zukunft ist offen, weil wir nicht wissen können, wie sich Menschen in ihrer Freiheit entscheiden werden. Wahrscheinlich ist, dass es krachen wird. Die langen Jahre der Nullzinsen haben den Konsum stark vergrößert, langlebige Konsumgüter wie Autos und Küchen konnten billig finanziert werden, schlecht wirtschaftende Unternehmen wurden am Leben erhalten. Das alles bricht zusammen und wird eine hohe Arbeitslosigkeit bringen, so wie in jedem bisherigem Kondratieffabschwung. Wie schnell es dann wieder aufwärts geht, hängt davon ab, wie gut wir den Teil der Arbeit, der immateriell zwischen Menschen stattfindet, wieder besser hinbekommen. Das ist keine Einzelleistung, sondern etwas Systemisches: Drei Mittelmäßige, die gut zusammenarbeiten, sind bedeutend wirtschaftlicher, als der Super-Crack, bei dem es aber nicht gelingt, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen. Deswegen ist ja Eure Arbeit als Confare so wertvoll.

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