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Wie Enterprise Architecture Management die IT von einer stinkenden Verbrenner-Karre in einen Tesla verwandeln kann

by Annecilla Sampt

Die TX Group bildet ein Netzwerk von digitalen Plattformen mit vier eigenständig agierenden Unternehmen, etwa 3700 Mitarbeitern und 50 verschiedenen Brands. Das ergibt eine hohe Komplexität, doch glücklicherweise verfügt man über eine ausgezeichnete IT, so konnte Franz Bürgi 2019 die Auszeichnung als Schweizer CIO des Jahres, den Confare Swiss #CIOAward, entgegennehmen.

Ohne entsprechende Enterprise Architecture ginge in einer solchen Konzernlandschaft wenig. Markus Hochholdinger, inzwischen Head of Cloud-ERP, war seit 2014 mit den EAM Agenden befasst. Er ist ein glühender EAM Fan und sieht die EAM Aufgabe nicht als Verwalter sondern als Transformer im Unternehmen. In Vorbereitung des Confare Factsheets ENTERPRISE ARCHITECTURE MANAGEMENT, erzählt er uns ausführlich, welche Möglichkeiten EAM für die Digitale Transformation bietet und was ihn an dem Thema so begeistert, aber auch, warum EAM weiterhin so oft missverstanden wird.

Wie sehen Ihre Erwartungshaltungen an das EAM aus? Was bringt EAM in der Praxis?

Confare - Markus Hochholdinger TX Group über EAMMeine persönliche Erwartungshaltung an das Enterprise Architecture Management (EAM) unterscheidet sich fundamental von dem, was sich viele IT-Manager heute noch unter dem Aufgabenbereich der EAM vorstellen. Das hängt sicher zum Teil damit zusammen, in welcher Form ich die Rolle über die letzten Jahre selbst ausgeübt habe. Im Nachhinein betrachtet hatte ich nämlich das “Glück”, zu wenige Ressourcen zu haben, um “traditionelles” EAM zu betreiben. Vor fünf oder sieben Jahren hätte ich das sonst nämlich höchstwahrscheinlich gemacht, und ich wäre kolossal gescheitert damit.

EAM kann ja heute vieles sein, und je nach Kontext definieren EAM Teams ihr Selbstverständnis unterschiedlich. Meine Erwartung an die EA ist, dass sie bei der Digitalisierung eine inhaltliche Führungsrolle einnehmen muss. Dass sie nicht eine Getriebene sein darf im Unternehmen, sondern eine Treibende: Die EA muss den Plan und die Führungsstärke haben, die stinkende, alte Verbrenner-Architektur-Karre in eine Tesla-Architektur umzubauen, die ohne zu stinken in 2.1 Sekunden auf 100 beschleunigt. Und dabei noch nicht einmal Lärm macht.

Die Covid-Krise hat viel verändert – Die Analysten von Gartner sind der Ansicht die Bedeutung des EAM sei dadurch deutlich gestiegen? Sehen Sie das ebenfalls so?

Ich kenne die aktuellen Gartner-Artikel leider nicht, kann mir aber vorstellen, dass eine der Begründungen dafür ist, dass Unternehmen mit dem Zwang, auf Homeoffice umzustellen, ihre mangelnde Maturität beim Aufbau einer resilienten dezentral digitalisierten Architektur bemerkt haben. Dazu zählen z.B. auch Security-Konzepte wie Beyond Corp. Daher stehen nun die Architekt*innen als Planerinnen einer solchen Zukunft wieder hoch im Kurs. Das stimmt wahrscheinlich, wird aber vermutlich vielerorts noch unterschätzt. Schnell noch einen Enterprise-Vertrag mit Zoom abzuschliessen, einige neue Laptops zu kaufen und Mitarbeitenden Spesen für Widescreen-Bildschirme und vergriffene externe Webcams zuzugestehen, hat noch zu wenig mit Digitalisierung zu tun

Diese Covid-bedingten Schnellschüsse waren bei vielen Unternehmen dringend notwendig als “Erste Hilfe”. Damit sind aber weder Business-Modelle noch Business-Prozesse digitalisiert. Um das zu erreichen, sind Enterprise Architekt*innen die besten Freunde, die man haben kann. Das wäre aber auch ohne Covid längst überfällig. Denn Covid hat nur die wirtschaftliche Abwärtsspirale jener Unternehmen, die die Digitalisierung verschlafen haben, beschleunigt. Umso dringender, dass diese nun beginnen, ihrem EAM zuzuhören.

Confare CIO ThinkTank

Wie wichtig ist EAM wenn es um die Digitale Transformation des Unternehmens geht?

Das ist aus meiner Sicht die überhaupt wichtigste Aufgabe von EAM. Und es ist zuallererst eine politische. In der Regel besteht nämlich zunächst einmal eine grosse Lücke zwischen den Zielen eines fortschrittlich denkenden Management Boards, dem die Digitalisierung gar nicht schnell genug gehen kann, und der noch sehr un-digitalen Realität in Business und IT. Zusätzlich zu den Herausforderungen des Markts und der technischen Modernisierung werden der Digitalisierung aus den verschiedensten Ecken des Unternehmens aus Gründen des vermeintlichen Selbstschutzes oft noch Widerstände entgegengebracht.

EAM kann hier helfen, indem sie eine Vermittlerrolle einnimmt; vorausgesetzt, sie versteht wirklich gut, was Digitalisierung heute bedeutet, und dass es um viel mehr geht als nur darum, halbmanuelle alte Prozesse ein wenig mehr zu automatisieren. Es geht um einen unternehmenskulturellen Wandel, und Enterprise Architekt*innen können hier die Rolle von Evangelist*innen einnehmen, indem sie sowohl dem Business als auch der IT jene Begeisterung über die neuen Möglichkeiten vermitteln, die der Mehrzahl der so Evangelisierten letztlich auch langfristig ihre Jobs sichern – vorausgesetzt, sie machen die Veränderungen engagiert mit.

Und selbst das fortschrittlichste Management braucht Architektur-Denker*innen, um den Umbau von un-digitalen, zentralistischen Architekturen auf digital-/dezentrale Architekturen intelligent in die zukunftssichersten Bahnen lenken zu können. Die EA ist zwar heute nicht mehr die Eigentümerin des “Big Picture” wie noch vor einem Jahrzehnt, aber sie sollte trotzdem der am höchsten fliegende Vogel im Unternehmen sein, um übergreifende Zusammenhänge zu sehen, Navigationshilfen durch die Digitalisierung zu geben und sturzflug artig eingreifen zu können, wenn jemand sich anschickt, Unsinn zu bauen. Wie zum Beispiel aus kurzsichtigen Spargründen doch noch einmal einen Diesel statt ein Elektroauto zu kaufen.

In welcher Form spielt EAM in Ihrer Organisation eine Rolle und wie ist es organisatorisch verankert?

Organisatorisch ist die EAM bei TX Group im CIO Office angesiedelt, einer Stabsorganisation für den CIO. Aufgrund der dezentralen Struktur innerhalb unserer Gruppe ist die EAM jedoch mit keinerlei formaler Entscheidungsgewalt gegenüber Teilorganisationen ausgestattet. Das heisst: jede Einflussnahme die das EAM auf Architektur- und Technologie-Entscheide nimmt, muss es sich in jedem neuen Einzelfall durch eine Kombination aus rationaler Argumentation und geschicktem Lobbying verdienen. Das ist uns bisher auch sehr gut gelungen und vermutlich auch die einzige Art und Weise, wie heute in Unternehmen überhaupt noch Enterprise-Architektur sinnvoll betrieben werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass eine zentralistische, diktatorische Ausübung von Architektur dem Tode geweiht ist. So wie die Digitalisierung der Welt bereits politische Diktaturen zu Fall gebracht hat, wird sie letztlich auch die noch verbliebenen IT-Architektur-Diktaturen zu Fall bringen.

1 Jahr Pandemie Corona

Was wir von der Architektur her nachhaltig betreiben, ist das gebetsmühlenartige Wiederholen einiger Architektur-Prinzipien, die sich, auch ohne Gesetz zu sein, aufgrund ihrer Sinnhaftigkeit in der Organisation durchgesetzt haben. Dazu zählen beispielsweise: neue Applikationen sind wann immer möglich Public Cloud Services und benötigen niemals on-premise Infrastruktur; dezentrale APIs/Microservices/Messaging-Architekturen statt zentralistischer Gesamt-Architekturen; Browser statt Fat Clients; Modularität und best-of-breed statt monolithischer Gesamtlösungen; Internet statt internes Netzwerk.

Welche Rollenbilder und Aufgaben gibt es rund um EAM?

Ich habe fünf Rollenbilder im Kopf für die EAM, für die aber jeweils sehr ähnliche technische Skills und Persönlichkeits-Profile benötigt werden.

Welche das sind, lesen Sie hier

Was macht einen Enterprise Architekten aus? Welche Fähigkeiten muss er mitbringen? Welches Know-how ist entscheidend?

Das unnötigste Know-how eines*r Enterprise-Architekt*in im Zeitalter der Digitalisierung sind die alten heiligen Kühe der EA: die Zachmans und TOGAFs dieser Welt. Natürlich benötigt es von Zeit zu Zeit noch ein leichtgewichtiges Framework, wenn es gilt, die eigenen Gedanken zu ordnen oder eine Stakeholder-adäquate Visualisierung hervorzuzaubern. Aber in diesen Fällen ist es praktisch immer zu empfehlen, möglichst schlanke eigene Frameworks oder Strukturen zu entwickeln, die einen Mehrwert für eine ganz spezifische Fragen- oder Aufgabenstellung bieten – nicht mehr und nicht weniger.

Viel wichtiger ist es für das EAM, über generalistisches IT-Know-How zu verfügen, zu wissen wie APIs, Microservices und Messaging-Architektur-Konzepte funktionieren, Cloud-Konzepte und Architekturen zu verstehen. Hinzu kommt, ein über die Verwendung von Buzzwords hinaus gehendes Grundwissen über neuere Technologien wie Machine Learning, AI und Blockchain zu haben und deren Business-Implikationen zu verstehen. Über allen technischen Skills steht aber noch die zentralste Fähigkeit: führen zu können. Und zwar auch dort, wo EAM nicht mit formaler Führungskompetenz ausgestattet ist.

Welchen Impact hat EAM auf die Kommunikation in und über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinaus?

Siehe „Rollenbilder – zur Rolle “Dolmetscher/Beziehungstherapeut*in”. EAM hat die Chance, zum abteilungs- und unternehmensübergreifenden Super-Kommunikator zu werden, Gräben zwischen alten “Feinden” zuzuschütten und generell auch, Verantwortung für übergeordnete Themen zu übernehmen, die Silogrenzen aufbrechen.

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