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Jeder echte Wandel greift den Status Quo an – und damit das soziale System

by Bianca Bogad-Frey

NEU im #ConfareBlog
Thomas Pisar (Keynote Speaker, Consultant, Physiker) – Jeder echte Wandel greift den Status Quo an – und damit das soziale System

Thomas Pisar - Jeder echte Wandel greift den Status Quo an – und damit das soziale System

Thomas Pisar – Keynote Speaker, Consultant, Physiker. In diesem zweiteiligen Artikel spricht er über die soziale Komponente von Transformationsprojekten, wie gute Führung dafür aussieht und vieles mehr.

Wie groß ist die transformative Kraft von (Gen-)AI für Organisationen wirklich?

Weltweit wurden 2024 rund 100 Milliarden US-Dollar in AI investiert. Davon allein 45 Milliarden in generative Modelle. Und das ist erst der Anfang. Microsoft, Google, Meta und Amazon planen, in den nächsten fünf Jahren gemeinsam über eine Billion Dollar in AI-Entwicklung zu stecken.

Das zeigt deutlich, was für eine Wucht hinter dem Thema steckt. Der kurzfristige Impact wird zwar häufig überschätzt – die langfristige Sprengkraft dagegen massiv unterschätzt. Und wir stehen noch ganz am Anfang. Niemand kann heute wirklich sagen, wie tiefgreifend sich das Thema entwickeln wird.

Ich lehne mich wohl nicht weit aus dem Fenster, wenn ich sage: Die Wirkung von AI auf Organisationen wird mit der Einführung des Computers vergleichbar sein. Wer das ignoriert, wird überholt. Nicht von der Konkurrenz – sondern von der Realität.

Allen Unkenrufern, die meinen, dass AI noch keine wesentlichen Verbesserungen gebracht hat, sei gesagt: Die ersten Dampfschiffe waren nicht besser als die Segelboote der damaligen Zeit.

Die Schwierigkeit ist nicht, das alles zu behaupten, sondern rauszufinden, welche nächsten Schritte im eigenen Kontext in Bezug auf AI konkret sinnvoll sind.

Du hast Transformationsprojekte in unterschiedlichen Größen begleitet – was sind die größten Unterschiede und was die überraschendsten Gemeinsamkeiten?

Schaut man auf Organisationen, sieht man zwei klar trennbare Systeme:

  • Das soziale System – besteht aus blutdruckbetriebenen, kohlenstoffbasierten Teilchen. Auch bekannt als: Menschen.
  • Das technologische System – läuft mit Strom, basiert auf Silizium. Server, Plattformen, Cloud, Applikationen, KI und Co.

Als jemand, der den Großteil seines Berufslebens als Manager in der Technik verbracht hat, kann ich polemisch sagen: für die Technologie muss man nur den Strom aufdrehen – läuft.

Menschen dagegen sind komplex. Die bringen Emotionen, Erwartungen, Ängste und ein beeindruckendes Beharrungsvermögen mit. Jeder echte Wandel greift den Status Quo an – und damit das soziale System. Genau dort entsteht Widerstand. Immer. Ohne Ausnahme.

Das heißt, allen großen gemeinsamen Transformationen ist gemeinsam, dass sie den Wandel im sozialen System managen müssen. Die meisten Transformationen, denen ich begegnet bin, vernachlässigen diesen Faktor zu sehr. Das Vorgehen für eine Cloud-Transformation im technologischen System kann ich bei Gartner nachlesen. Wie ich allerdings meinen Einkauf, mein Controlling, meine IT-Infrastruktur, die Security auf Schiene bringe, dass die alle mitziehen, ist entscheidend, wie gut und schnell ich vorankomme.

Der Umgang mit dem Wandel im sozialen System ist entscheidend, ob Transformation in Summe gelingt – oder in der nächsten Excelliste versandet.

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Was macht eine digitale Transformation wirklich erfolgreich – jenseits von Methoden und Buzzwords?

Entscheidend ist, wie wir den Change im sozialen System gestalten. Das ist der eigentliche Hebel – und genau da scheitert der Großteil der digitalen Transformationen.

Der Begriff der Digitalisierung selbst ist inzwischen überdehnt. Man muss ihn sauber auseinandernehmen:

Eine digitale Transformation, die das Operating Model verändert – also wie eine Organisation arbeitet – ist nichts Neues. Die gibt es, seit es Computer gibt. Der Kern: Automatisierung. Früher nannte man das COBOL oder PL/I.

Fun Fact: der 2. Burenkrieg (1899-1902) ist der Entwicklung von COBOL (Ende der 50er Jahre) zeitlich knapp näher als die Entwicklung von COBOL der Jetztzeit. Heute heißt das RPA, AI, Low-Code. Gleiche Aufgabe, andere Tools.

Die eigentliche digitale Transformation findet aber woanders statt – im Business Model. Also im Was. Was bieten wir an, über welche Kanäle, mit welchem Mehrwert für den Kunden? Verkaufe ich einen Hausschlüssel – oder entwickle ich ein biometrisch abgesichertes Zutrittssystem?

Und: Transformation ist kein Projekt. Wer glaubt, Transformation sei irgendwann abgeschlossen, glaubt wahrscheinlich auch, dass man in der Schule alles fürs Leben lernt.

Sie ist auch nicht planbar, wie ein Projekt, weil wir unbekanntes Terrain betreten und uns die Erfahrungswerte fehlen. Man hüte sich, die Erfahrungen anderer unreflektiert zu übernehmen und in den eigenen Kontext zu stellen. In komplexen Umfeldern ist Copy-Paste, Best-Practice, etc. ausgesprochen gefährlich.

Modelle wie Kurt Lewins Unfreeze-Change-Freeze oder Kotters 8-Stufen-Modell sind für die heutige Zeit wie ein IT-Wasserfallprojekt vor 25 Jahren. Groß, träge, langsam.

Die Rate der Veränderungen treibt uns zu einer kontinuierlichen Change-Notwendigkeit. Das bedingt einen Paradigmenwechsel in unserer Auffassung über Change. Wir brauchen einen alpinen Stil des Changes, keinen Expeditionsstil mit hundert Sherpas.

Wenn wir das verstanden haben und verstanden haben, dass das soziale und das technologische System nur zwei Seiten, wenngleich unterschiedlich zu behandelnde Seiten, ein und derselben Medaille sind, dann haben wir eine Chance auf Erfolg.

Meine wenig überraschende Empfehlung:

  • Verständnis über die Ist-Situation herstellen.
  • Eine Richtung vorgeben.
  • Wie lange man geht, wird sich weisen.
  • Regelmäßiges Reflektieren und lernen schadet nicht.

Was wäre die Alternative: das Unplanbare ewig planen und/oder gleich gar nichts tun? Da sagt Deming: Man muss sich nicht ändern. Man muss auch nicht überleben.

Welche Rolle spielt Leadership in der digitalen Transformation – und wie unterscheidet sie sich von klassischem IT-Management?

Gute Führung war meines Erachtens schon in den sechziger Jahren nicht anders als heute. Je disruptiver die Zeiten allerdings werden, desto mehr Notwendigkeit besteht nach guter Führung. In Zeiten geringer Veränderungen und steigender Konjunkturkurven hat schlechte Führung nicht so viel ruinieren können.

Die hohe Rate an Veränderung macht es heute unmöglich, die Entwicklungen an einer zentralen Stelle zu überblicken und inhaltlich zu steuern. Mit jeder neuen Innovation werden nur noch mehr neue Innovationen möglich. Mit einem Hammer, einem Nagel und einer Säge schaffe ich mehr als nur mit einem Hammer und einem Nagel.

Es gilt das Wissen und die Kraft der ganzen Organisation zu nutzen. Führung hat die Aufgabe die Strukturen zu schaffen, die das ermöglichen.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: ich kann eine Organisation am Reißbrett für viele hundert Mitarbeiter entwickeln und die Mannschaft reinsortieren. Alternativ: ich lade die Mannschaft ein, bei der Entwicklung der Organisation mitzubauen und sich den Job selbst auszusuchen. Dazu ist es aber unabdingbar, dass alle verstanden haben, was die eigentliche Aufgabe der Organisation ist, sonst bauen die einen eine Werft und die anderen eine Zuckerlfabrik. Das Alignment, die Ausrichtung nach einem Sinn der Organisation ist eine wesentliche Aufgabe der Führung an der Spitze. Das kann nur durch eine effektive Kommunikation sichergestellt werden. Herkömmliche Kommunikations-Modelle versagen an der Stelle. Auch hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Das Framework der Wirtschaftsdramaturgie ist aktuell das einzige, das ich kenne, das alles dafür Notwendige zur Verfügung stellt. Das Framework nutzt Methoden der Dramaturgie aus Film und Serien, die Wirkung erzeugen. Wer will behaupten, dass Hollywood das nicht seit Jahrzehnten sehr erfolgreich schafft?

Wenn das gelingt, machen wir Betroffene zu Beteiligten. Der Effekt des Engagements der ganzen Organisation ist in Faktoren und nicht in Prozent zu bemessen.

In Summe:

  • die richtigen Strukturen bauen und
  • die richtige Kommunikation einsetzen,

um die Energie der ganzen Organisation im Sinne der Aufgabe optimal zu nutzen.

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Wie gehst Du mit Widerständen in Transformationsprozessen um – insbesondere auf Management-Ebene?

Widerstände, egal ob im Management oder auf der Mitarbeiterebene, entstehen immer dort, wo der Change auf die Realität des sozialen Systems stößt.

Physikalisch bedingt will jedes System im Zustand niedrigster Energie verharren. Flüsse fließen in Tälern und nicht über Berggipfel. Evolutionär war es für uns Menschen ein Vorteil, so wenig wie möglich Energie zu benötigen. Sonst hätten wir eine Antilope mehr jagen müssen. Alles Zeit, die man auch im Schatten eines Baumes verbringen kann.

Somit zieht es uns Menschen heute noch im sozialen System zum Zustand niedrigster Energie und das ist nun mal der Status-Quo. Somit gibt es Widerstand gegen Neues.

Dieser Widerstand hilft uns aber im Change, überhaupt die notwendigen Beobachtungen zu machen, in welchem Zustand sich das soziale System befindet. Wir dürfen nur nicht mit den Beobachtungen aufhören, sondern die eigentlichen Konflikte hinter den Widerständen versuchen rauszufinden.

Oftmals heißt „Ich will nicht“ – „Ich kenn‘ das nicht“. Hier gibt es eine Angst vor dem Unbekannten. Im Sinne der Verbreitung des eigenen Genpools war das ein evolutionärer Vorteil („Geh nicht in die Höhle Karli, da stinkt‘s nach Braunbär!“).

Wenn durch einen Change mein Status bedroht ist, dann werde ich mich ebenfalls sträuben. Wer gibt schon gerne seinen A6 als Dienstauto zurück, weil er nicht mehr Direktor ist? Und wie erklärt er das zuhause?

Wenn ich durch einen Change in meiner Autonomie eingeschränkt werde, weil das, was ich früher „freihändig“ und Kraft meiner unendlichen Expertise gemanagt habe, in der Zukunft in einem standardisierten Prozess abgebildet wird, dann bedroht das meinen Guru-Status und meine Autonomie.

Wenn ich in einem Change in ein neues Team komme und lauter neue Kolleg:innen kennen lernen muss, dann freut das insbesondere Techniker:innen wenig, wenn sie sich nach zwanzig Jahren endlich an die alten Kolleg:innen gewöhnt haben.

Das grundsätzliche Verständnis dieser Konflikte hinter den Widerständen ist erforderlich, um die richtigen Kommunikations- und Interventionsmaßnahmen abzuleiten. Die Wirtschaftsdramaturgie ist auch an der Stelle ein extrem effektives und vielfältiges Werkzeug, um Betroffene zu Beteiligten zu machen. In dieser hoch-dynamischen Welt brauchen wir hoch-dynamische Kommunikationsmethoden. Rein statisches Storytelling ist wie einen Dichtungsring in einen überfluteten Keller zu werfen.

Was hat die Physik damit zu tun?

Man muss nicht in theoretischer Hochenergie-Physik promoviert haben (das ist das Zeugs, wo es entweder Richtung Urknall oder Richtung schwarzer Löcher geht). Es schadet aber auch nicht.

Wir können Organisationen aus einer physikalischen Brille betrachten, ich möchte aber lieber das Augenmerk darauf legen, was man von der Denkweise von Physikern übernehmen kann, wenn man will.

Physiker, insbesondere theoretische Physiker, betrachten die Welt als Ganzes und versuchen deduktiv, von allgemeinen Prinzipien ausgehend, Erkenntnisse abzuleiten. Einstein hat sich überlegt, was es heißt auf einem Lichtstrahl zu reiten und welche Konsequenzen es hätte, wenn die Lichtgeschwindigkeit fix und unabhängig von der Beobachtergeschwindigkeit wäre. 1905 war dann die spezielle Relativitätstheorie geboren, die unser Verständnis von Raum und Zeit auf den Kopf gestellt hat. Er hat sich nicht induktiv über die damals vorliegenden Evidenzen zu einem Gesamtbild durchgekämpft.

Im organisatorischen Kontext hingegen denken wir oft fragmentiert. In einem Meeting diskutieren wir Finanzkennzahlen wie Umsatz oder Kosten, im nächsten geht es um technologische Entwicklungen und später um die Stimmung im Team. Der Zusammenhang dieser Aspekte bleibt dabei häufig unberücksichtigt. Dabei agieren wir in Organisationen stets in einem komplexen Umfeld, in dem alles miteinander verwoben ist und sich gegenseitig beeinflusst. Dies wäre, als würde man in der Thermodynamik nur die Temperatur betrachten, aber nie den Druck und das Volumen. Da kann es schon mal ordentlich knallen im Kessel.

Physiker gehen den Dingen auf den Grund. Lord Kelvin verkündete zwar 1900, dass in der Physik bereits alles erklärt sei und nur noch Nachkommastellen verbessert werden müssten. Ein fataler Irrtum: Zwei scheinbar kleine, ungelöste Probleme führten zu bahnbrechenden Erkenntnissen.

Zum einen stellte sich heraus, dass die Newtonsche Mechanik nicht mit den Maxwell-Gleichungen des Elektromagnetismus kompatibel war. Das hat Einstein mit der speziellen Relativitätstheorie gelöst (1905).

Zum anderen konnten bestimmte Phänomene, wenn man Metall mit Licht bestrahlte, nicht erklärt werden, bis wieder Einstein mit dem Fotoeffekt die Grundlage für die Quantenmechanik legte (1905).

Auch in Organisationen stoßen wir auf kleine Unstimmigkeiten, die oft als nebensächlich abgetan werden. Doch wenn wir uns die Mühe machen, diese genau zu hinterfragen, können sie uns zu wertvollen Erkenntnissen führen. Widerstand in Veränderungsprozessen ist selten grundlos (siehe oben). Es zahlt sich aus den Dingen auf den Grund zu gehen.

Physiker wählen ihre Betrachtungsweise bewusst. Die Dimensionen und Landkarten, mit denen sie ein Problem erfassen, sind entscheidend, wie einfach eine Lösung ableitbar ist. Ein kugelsymmetrisches Problem in der Atomphysik lässt sich in sphärischen Koordinaten einfacher lösen als in kartesischen. Übertragen auf Unternehmen bedeutet dies, dass ein IT-Problem nicht mit einem HR-Organigramm, sondern mit einer Applikationslandkarte und einem Domänenmodell angegangen werden muss. Die passende Perspektive entscheidet über die leichte Lösbarkeit eines Problems. Mit der akkuraten Sicht auf die Probleme und Lösungen werden die Herausforderungen deutlich besser diskutierbar und entscheidbar. Das ist ein wesentlicher Vorteil der richtigen Landkarten.

Wenn wir also
– Organisationen gesamtheitlich, als komplex, adaptive Systeme, und nicht als mechanische Uhrwerke, betrachten und
– dabei die großen Zusammenhänge (Business-Model, Operating-Model, soziales & technologisches System) zu verstehen versuchen,
– vom Großen ins Detail gehen,
– versuchen den Dingen auf den Grund zu gehen, und
– die richtigen Sichtweisen, Methoden, Frameworks verwenden,
dann fällt es deutlich leichter durch diese komplexe Welt zu navigieren.

Dies war der erste Teil unseres Interviews. HIER finden Sie den zweiten Teil.

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