Talente bewegen … ist das Motto des größten österreichischen IT Treffpunkts, des Confare CIO SUMMIT 2019. Es ist nicht nur der Fachkräftemangel, der dazu beiträgt, dass im Recruiting inzwischen auch unkonventionelle Wege beschritten werden. In Zeiten massiver und rascher Veränderung ist ein Team, das unterschiedlichen Menschen und Meinungen Platz bietet, erfolgreicher. Specialisterne Österreich vermittelt Menschen mit Asperger Syndrom, einer speziellen Form des Autismus, in Spezialistenrollen in IT Organisationen. Markus Kalbhenn ist Geschäftsführer des Unternehmens und hat uns anlässlich der Kooperation beim CIO SUMMIT einige Fragen zur Führung und dem Einsatz spezieller Talente beantwortet.
In Zeiten des Fachkräftemangels ist es schwer passende Talente zu finden, speziell im Technologie und IT Umfeld. Welche Fähigkeiten bringen Beschäftigte im Autismus Spektrum dafür auf?
Menschen mit einer Form von Autismus – dem Asperger-Syndrom – sind oft in bestimmten Bereichen überdurchschnittlich begabt. Sehr häufig sind Begabungen für logisch-analytisches Denken, Mustererkennung und einem Blick für Abweichungen und Details, die anderen entgehen. Viele Personen mit Asperger-Diagnose sind schon seit ihrer Kindheit mit Computern gut vertraut, oder haben ein ausgeprägtes naturwissenschaftliches oder mathematisches Interesse. Dies sind alles gute Voraussetzungen für eine Karriere in der IT. Ganz speziell sehen wir ein Talent im Bereich der Qualitätssicherung von Softwarelösungen, denn IT-Affinität gepaart mit hoher Präzision sowie Toleranz für potentiell repetitive Tätigkeiten, sind hier sehr hilfreich. Das ist auch der Grund warum Specialisterne seit 3 Jahren Talente mit Autismus zu zertifizierten Software-Testern ausbildet. Dieses Projekt führen wir mit TrainerInnen und ExpertInnen der Unternehmen Nagarro und Tricentis durch und haben damit großen Erfolg.
Welche Herausforderungen gibt es für Mitarbeiter und Führungskräfte? Worauf muss man achten?
Specialisterne vermittelt nun schon das 7. Jahr Menschen mit Autismus in IT Berufe und wir bemerken immer mehr, dass sich gerade in diesem Bereich die Herausforderungen nicht so sehr von jenen mit anderen MitarbeiterInnen unterscheiden. Personen mit Autismus haben Probleme mit der sozialen Interaktion, also ist ihnen beispielsweise der Sinn von Small Talk komplett unverständlich, denn Kommunikation dient für sie primär dem Informationsaustausch und weniger dem Beziehungsaufbau. Im technischen Umfeld sind sie mit dieser Einstellung nicht alleine. Worauf man sich einstellen muss, ist sehr klar, strukturiert und direkt in der Kommunikation zu sein, also Arbeitsanweisungen nicht indirekt (z.B. „schauen Sie bitte bei Gelegenheit nochmal über den Bericht“) sondern eindeutig zu formulieren („in dem Bericht sind noch Fehler enthalten. Bitte überprüfen & korrigieren Sie ihn bis Montag“).
Andere Besonderheiten sind extrem individuell und reichen von einer Abneigung gegen Telefonate bis hin zum Wunsch bei der Arbeit wegen der Geräuschbelastung Kopfhörer zu tragen. Die Aufgabe von Specialisterne ist es sowohl die Herausforderungen als auch die Stärken jedes/jeder einzelner/n KandidatIn gut zu kennen und bei den Vorgesprächen mit Unternehmen zu thematisieren.
Es gibt schon zahlreiche Unternehmen, mit denen Sie zusammenarbeiten. Wie sieht die konkrete Zusammenarbeit mit den von Ihnen vermittelten Spezialisten aus?
Specialisterne agiert nicht nur als reiner Personalvermittler oder Arbeitskräfteüberlasser. Wir beraten Unternehmen, Teams, Vorgesetzte und natürlich MitarbeiterInnen mit Autismus langfristig, damit die Zusammenarbeit optimal funktioniert. Kernstück dabei ist ein Kick-off Workshop bei dem das Team Gelegenheit hat einander besser kennen zu lernen, aber vor allem Berührungsängste mit dem neuen Kollegen abzubauen.
Unsere KandidatInnen sind eher UmsetzerInnen oder FachexpertInnen als ManagerInnen. Wir analysieren mit den Unternehmen zu Beginn sehr genau die Anforderungen der Stellen und versuchen die Einsatzgebiete optimal auszuwählen oder anzupassen, damit für beide Seiten ein Mehrwert entsteht.
Eine der ersten Fragen in unseren Gesprächen ist: „In welchen Bereichen haben sie Schwierigkeiten MitarbeiterInnen zu halten, weil die Tätigkeit zwar inhaltlich anspruchsvoll, aber repetitiv ist oder bald langweilig wird“. Ein Unternehmenspartner hat uns berichtet, dass ihre beiden Kollegen mit Autismus 3 Fehler beim Anlegen von 100.000 Datensätzen machen, während nicht-autistischen Mitarbeitern bis zu 500 Fehler unterlaufen, da man bei der Aufgabe leicht unaufmerksam wird.
Auch in der Datenanalyse haben wir gute Erfahrungen, wo unsere MitarbeiterInnen mit den Datenbanksystemen arbeiten und neben Reports auch systematische Fehleranalysen durchführen.
Am meisten werden wir natürlich auf Programmierer angesprochen. Wir haben viele KandidatInnen, die mit den Grundlagen der Programmierung in unterschiedlichen Sprachen vertraut sind, allerdings sind wir hier noch auf der Suche nach einem Partner, der uns – analog zu unserer Software-Tester-Ausbildung – hier mit Trainings unterstützt. So könnten wir unsere „Rohdiamanten“ in wenigen Monaten zu soliden Junior Programmierern schulen.
Studien zeigen, dass Diversity-Teams erfolgreicher machen – welche positiven Effekte ergeben sich in solchen gemischten Teams?
Speziell kognitive Diversität, also unterschiedliche Arten zu denken, hilft Teams unterschiedlichste Lösungsansätze zu finden und immer andere Fragen zu stellen. Gerade wenn man so wie heute nicht genau vorhersagen kann wohin sich der Markt in einigen Jahren entwickeln wird, macht es Sinn sich möglichst viele unkonventionelle Talente ins Unternehmen zu holen, anstatt sich ausschließlich an den bekannten heutigen Anforderungen zu orientieren. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Performance von diversen Teams ist allerdings die Führungskompetenz, denn unterschiedliche Menschen brauchen unterschiedliche Führung. Während des Onboardings neuer MitarbeiterInnen mit Autismus sehen wir hier meist eine steile Lernkurve der Führungskräfte, denn Feedback, Lob oder Belohnung müssen teilweise adaptiert werden.
Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien unter unseren langjährigen Unternehmenspartnern hat gezeigt, dass die Kommunikation, Motivation und Arbeitszufriedenheit in den Teams seit der Einstellung eine/r KollegIn mit Autismus als verbessert wahrgenommen werden. Dies hat unterschiedliche Gründe, aber wir sehen, dass das ganze Team profitiert, wenn man sich darauf einlässt.
Was sind die Zukunftspläne von Specialisterne?
Der nächste große Meilenstein wird die Ausweitung unserer Organisation auf andere Bundesländer sein. Derzeit sind wir nur in Wien und Niederösterreich tätig, bekommen aber von Unternehmen wie BewerberInnen Anfragen aus ganz Österreich. Hierfür brauchen wir einige Pioniere, die bereit sind mit uns einen Piloten in Graz, Salzburg oder Linz zu starten.
Ein weiterer großer Bereich ist das Thema Ausbildung von Fachkräften. In Österreich gibt es schätzungsweise 19.000 Menschen mit Autismus, die arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter sind, aber arbeitslos bleiben, weil sie ohne Unterstützung keinen Job finden. Einige sind gut ausgebildet, aber viele haben zwar besondere Talente, aber keine formale Ausbildung. Wir möchten gemeinsam mit der Wirtschaft vermehrt Schulungen für Mangelberufe anbieten, um dieses enorme Potential an Arbeitskräften Schritt für Schritt erschließen zu können.
In welchen Bereichen sehen Sie, die Möglichkeit von Ihrem Erfolgsbeispiel zu lernen?
Einerseits interessieren sich immer wieder Recruiter aus dem IT und Technik Umfeld für unsere Methoden. Den introvertierten IT-Geek, der sich schlecht verkaufen kann und im Bewerbungsgespräch kaum etwas sagt, kennen vermutlich viele HR Abteilungen.
Ansätze, die für unsere BewerberInnen geeignet sind, funktionieren auch im klassischen IT Recruiting. Wir arbeiten stärkenorientiert und gehen in Gespräche mit dem Mindset „ich will deine Stärken herausfinden“ anstatt „ich will Deine Schwächen aufdecken“.
Wie Sie die richtigen Talente finden, und selbst als Talent im Unternehmen wirksam Veränderung gestalten, das ist Thema des 12. Confare CIO SUMMIT, mit mehr als 500 Besuchern aus dem DACH Raum, 80 Speakern und 50 Ausstellern, der größte IT-Treffpunkt in Österreich. Hier werden die besten IT-Manager mit dem Confare CIO AWARD ausgezeichnet.
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