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Steht ein Crash wie 1929 bevor? Zukunftsforscher über Geld und die Wirtschaftslage

by Annecilla Sampt

Die Zukunft gehört dem Menschen hinter der Technik ist Erik Händeler, Autor des Bestsellers „Geschichte der Zukunft“ überzeugt. In seinem Vortrag auf der #IDEE2020 – der Confare Convention zum Digitalen Wandel – spricht er über die Zukunft der Zusammenarbeit, Geld und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung. Ein bisschen volkswirtschaftliches Hintergrundwissen gefällig? Für den Confare Blog beschreibt Erik die Parallelen der heutigen Situation zum großen Crash 1929 und was diese Situation für uns und die aktuelle Wirtschaftslage bedeutet.

Confare #IDEE2020
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Diese Erzählung vom großen Börsencrash vor 90 Jahren ist weit verbreitet: Über die gierigen Spekulanten, den irren Indexsteigerungen, den begleitenden Betrügereien. Die Notenbank Fed hatte 1927 dem Drängen der klammen Europäer nachgegeben, den Zins auf 3,5 Prozent zu senken, um auch ihren Markt zu entspannen. Doch das freie Geld aus der ganzen Welt rentierte sich ab jetzt  besser an der Börse in New York. Selbst Industrieunternehmen stellten ihre Gewinne für den Kauf von Aktien zur Verfügung anstatt im richtigen Leben zu investieren.

Überschüssiges Geld

Dann die Panik am Donnerstag, 24. Oktober 1929, dem der schwarze Freitag folgte, und ein Montag sowie ein Dienstag, an denen die Kurse noch einmal je 20 Prozent nach unten schossen. Der Crash zog sich drei Jahre hin und fand erst im Juli 1932 seinen Boden. Da sich auch einfache Menschen mit nur zehn Prozent Eigenkapital Aktien kaufen konnten, war nicht nur ihr Geld weg, sondern oft auch noch das der Banken, die es ihnen geliehen hatten. Das viele überschüssige Geld verschwand einfach dadurch, dass Kredite nie zurückgezahlt wurden. Der unnötige Luxuskonsum brach weg, der die Konjunktur befeuert hatte, aber keinen bleibenden Gegenwert hinterlässt.

Um überhaupt noch etwas verkaufen zu können, senkten Unternehmen die Preise, bekamen ihre Fixkosten nicht mehr herein, schlossen die Werkstore. Millionen Menschen in den USA und in Europa hungerten in der Folge.

In dieser Lesart hat der Börsencrash die Weltwirtschaftskrise der 1930er ausgelöst, doch das stimmt nicht: Schon längst war die Industrie im Sinkflug. Die Autoproduktion in den USA fiel schon vorher von 622.000 im März auf 416.000 im September und sollte im Dezember auf 92.000 abstürzen. Ökonomen mit monetärer Brille schreiben dann, dass die Ursache der Krise nicht bekannt sei. Da hilft der Blick des Realwirtschaftlers Nikolai Kondratieff (1892 – 1938): Der elektrische Strom hatte seit den 1890ern die Chemie ermöglicht, mit Auswirkungen auf den Dünger der Landwirtschaft oder der Medizin; Stahl ließ sich mit Strom 80 Prozent billiger herstellen, der Hinterhofhandwerker konnte nun eine Schreinerei betreiben, Strom ermöglichte Massenproduktion. Solche grundlegenden neuen Technologien benötigen Unmengen an Kapital über einen längeren Zeitraum, um das Technologienetz aufzubauen, sowie sehr viel Zeit, um Menschen an der neuen Technik zu schulen. Deswegen dauert es, bis die hohen Investitionen durch Konsumverzicht bei hohen Zinsen gestemmt sind, dann aber steigt der Wohlstand rapide.

Die Wirtschaft wäre spätestens seit 2008 längst abgestürzt ohne die Geldschwemme der EZB

Bis es zunehmend fertig investiert ist: Anfang der 20er Jahre waren in den entwickelten Ländern so gut wie alle Unternehmen elektrifiziert, Ende der 20er Jahre waren je nach Region 80 bis 90 Prozent  der privaten Haushalte an das elektrische Netz angeschlossen. Es gab immer weniger rentable Investitionsmöglichkeiten, die einem die Kosten senkten. Deswegen braucht die Volkswirtschaft dann weniger Geld, die Zinsen fallen, was den Konsum ankurbelt, etwa Ferienhäuser in Florida, der Kauf einer neuen Küche. Oder das freie Geld fließt in die Anlage von Immobilien und vor allem Aktien, deren Preise nicht deshalb steigen, weil sie mehr wert sind, sondern allein, weil es im realen Leben keine rentablen Verbesserungen mehr gibt.

Auch heute sind nicht die Zentralbanker „schuld“ an den Nullzinsen, sondern der Mangel an Investitionsmöglichkeiten, die im realen Leben Ressourcen einsparen – die Wirtschaft wäre spätestens seit 2008 längst abgestürzt ohne die Geldschwemme der EZB. Die hat keine Inflation ausgelöst, weil gleichzeitig auch die Geldumlaufgeschwindigkeit gesunken ist – nicht Geld, sondern reale Produktivitätsentwicklung bestimmt die Konjunktur, und die wirkt derzeit deflationär. Dort ist etwas zu Ende gegangen, allmählich weltweit: In der Breite haben Computer seit über 40 Jahren strukturierte Wissensarbeit effizienter gemacht. Wer um 1990 seine Schreibmaschine in den Keller stellte und einen 2/86 PC kaufte, der machte einen gigantischen Fortschritt. Wenn sich dagegen heute die Rechenleistung  verdoppelt, ist die Arbeit um null Prozent besser geworden, weil sie nicht an der Knappheit ansetzt, über die Kondratieff nachdachte.

Produktionsfaktoren wachsen nicht gleichmäßig mit der Volkswirtschaft, also verteuert sich der eine mehr als der andere, bis er physisch nicht zu vermehren ist und unerschwinglich wird – Kondratieff schreibt von der „Realkostengrenze“. Wenn in den 1830ern Transport der knappste Faktor ist, der die Wirtschaft stagnieren lässt, dann muss die Eisenbahn gebaut werden. Wenn es um 1980 zu teuer wird, Wissen mit Karteikästen zu organisieren, muss der Computer vorangebracht werden.

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Was uns heute an Zukunftstechnologie verheißen wird, ist zwar nicht falsch, setzt aber nicht an der nächsten Knappheit an: Je mehr Technik wir haben, umso mehr geht es um die Menschen hinter der Technik, die um die bessere Lösung ringen müssen, eine Situation analysieren und wirklichkeitsnah entscheiden, gegensätzliche Interessen unter einen Hut bringen. Fließen zu verlegen ist eine strukturierte Tätigkeit; dabei ein schwieriges Ehepaar zu beraten aber ist eine unstrukturierte, unscharfe Arbeit. So reiben sich die Ökonomen verwundert die Augen über das „Produktivitätsparadoxon“, dass die Produktivität insgesamt kaum noch steigt, obwohl wir ständig so viel in Technik investieren? Die Antwort ist, dass der Anteil von Technik an der Produktivität sinkt, während die unstrukturierte Gedankenarbeit zwischen Menschen zunimmt. Weder KI noch Nanotechnik helfen, wenn zwei Abteilungsleiter nichts miteinander reden oder ein Team Probleme von der Beziehungsebene her angeht anstatt von der Sachebene. Drei Mittelmäßige, die gut zusammenarbeiten, sind bedeutend produktiver als der Supercrack, der von Kindheit an nur gelernt hat, sein Eigeneinteresse zu verfolgen, aber nicht in der Lage ist, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen.

Die Folgen einer solchen Stagnation sind desaströs: Die Länder schließen ihre Handelsgrenzen, suchen Sündenböcke, wählen „starke“ Führer, schieben den Verstand bei Seite und lassen sich über niedere Instinkte manipulieren. Das war nach dem Gründerkrach 1873 für 20 Jahre so, als die Eisenbahnen zwischen den damaligen Zentren fertig gebaut waren; das war in der Weltwirtschaftskrise nach 1929, als die meisten Länder in Diktaturen versanken. Und so wird es auch jetzt sein: Nicht Trump erzeugt eine Wirtschaftskrise, sondern weil der Grenznutzen von Technologie erschöpft ist, Gewinne gleichzeitig wegkonkurriert werden und Wohlstand wie Selbstwert mancher Leute sinken, wählen sie einen Populisten – er ist Symptom, nicht Ursache. Nicht der weltweite Handelskrieg ist Ursache einer schwächeren Wirtschaft, sondern weil jetzt selbst in China Schluss ist mit noch mehr Stahl gießen und Plastikteile spritzen, igeln sich die Länder ein. Brexiteers suchen sich die EU als Sündenbock für ihre Stagnation. Weil das Alte nicht mehr funktioniert, aber über das Neue keine Einigkeit besteht, flüchten sich alle in vermeintlich gute alte Zeiten und werden nationalistisch oder zumindest Struktur konservativ, was eine Erholung verhindert.

Was tun, um ein weltweites 1929 abzuwenden? Weder noch mehr Geld noch Technik werden uns grundlegend helfen. Der beste Weg, Politik und Wirtschaft zu stabilisieren, ist, gesamtgesellschaftlich produktiver zu werden. In den vergangenen 200 Jahren haben wir die materiellen und energetischen Prozesse durchrationalisiert. Jetzt gilt es, den Anteil unserer Arbeit zu verbessern, der aus unstrukturierter Gedankenarbeit zwischen Menschen besteht, in der gedachten Welt, in der es keine Grenzen des Wirtschaftswachstums gibt.

Erik Händeler, 50, ist Autor („Die Geschichte der Zukunft“) und Vortragsredner. Er beschäftigt sich vor allem mit Kondratieffs Wirtschaftstheorie und dem Zusammenhang von Produktivität und Wohlstand in der Wissensgesellschaft.

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