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Kulturschock im Klassenzimmer: Schulen zwischen Stillstand und digitaler Überforderung

by Yara El-Sabagh

Exclusive im #ConfareBlog: Kulturschock im Klassenzimmer

Was macht den Erfolg von Ludmila Schindler aus? Etwa 50 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und 550 weitere Kinder sind bis heute im DigiFö-Computerförderkurs gewesen.

Die erfahrene Pädagogin agiert bewusst weitgehend unabhängig von der Bürokratie des Wiener Bildungswesens. Ludmila nennt es „Bildungspolitik vom Wohnzimmer aus“.

Im mehrteiligen Bloginterview haben wir nachgefragt: Wie weit ist die Digitalisierung in den Schulen angekommen? Was braucht es für eine echte Transformation? Und was können wir dazu beitragen?

Hier finden Sie Teil 2 des Interviews: JETZT LESEN

Hier finden Sie Teil 3 des Interviews: JETZT LESEN

Auch die CIO und CDO Community ist gefragt. Am Confare #CIOSUMMIT, Österreichs größten und wichtigsten IT-Management Treffen, gilt es auch die wichtigen gesellschaftlichen Themen anzusprechen. Was können Unternehmen und ihre IT zu einer besseren Welt beitragen? Dafür gibt es die Confare #ImpactChallengeNominieren und Einreichen ist jetzt möglich!

Wie sehr hat sich Corona denn auf unser Bildungswesen ausgewirkt?

Seit dem Beginn der Coronapandemie sind Eltern mit ihren Volksschulkindern, Schüler:innen in Mittelschulen oder in Gymnasien, Pädagog:innen, Schulleiter:innen mit Themen wie Digitalisierung konfrontiert, die das Bildungssystem mit voller Wucht eingeholt und allen Beteiligten vor Augen geführt hat, was in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt wurde. Das war ein Schock, von dem sich viele noch nicht erholt haben, weil diese Tatsache dem Schulsystem einen Spiegel vorgehalten hat, was zu der bitteren Erkenntnis geführt hat: Wir haben den digitalen Wandel der letzten Jahre verschlafen.

Es ist nicht so, dass man von der „Digitalisierung“ eingeholt wurde, sondern das war eine plötzliche Konfrontation mit einer „Digitalisierung in Krisenzeiten“.

Was zu einer Doppelbelastung führte, die seit zwei Jahren das System lahmgelegt hat, auch aufgrund des leider vorhergesagten Personalmangels, der sich nun nicht mehr verstecken lässt.

Das Bild, das man etwas zu selbstbewusst mit sich getragen hat, war bis dahin ein anderes, nämlich: Wir haben ein gutes Bildungssystem, genügend Lehrer:innen, wir schneiden bei PISA-Studien gar nicht so schlecht ab, wir haben gut ausgebildete Schüler:innen, wir haben mit der Integration von Schüler:innen mit Migrationshintergrund keine Probleme, wir können traumatisierte Kinder aus Kriegsgebieten gut versorgen und in das Schulsystem integrieren und die berufliche Zukunft unserer Kinder ist gesichert. Doch nun stellte sich heraus, dass zum Beispiel die digitalen skills fehlten, um von zuhause aus dem Hybridunterricht zu folgen oder Hausaufgaben online abzuschicken. In jeder Altersgruppe war eine Ratlosigkeit sichtbar. Viele Eltern, aber auch ältere Geschwister konnten und können noch immer nicht bei Hausaufgaben am Computer unterstützen.

Siehe auch: Die emotionale Abrechnung von Confare Gründer Michael Ghezzo mit dem Thema Home Schooling während er Pandemie: Das Homeschooling Fiasko – Ein offener Brief von Michael Ghezzo (confare.at)

Was sind denn die wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungen, die auf unser Bildungssystem Auswirkungen haben?

Wenn man analysiert, was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, dann kann man beobachten, dass es aufgrund der Krisen, mit denen wir konfrontiert werden, zu einer generationsübergreifenden Überforderung der Verarbeitung des gesellschaftlichen Wandels mit seinen vielfältigen Herausforderungen gekommen ist, auf die derzeit anscheinend niemand eine zufriedenstellende Antwort hat.

Diese Antworten würde man gerne von Politiker:innen hören. Weil sich die Menschen auf eine Politik, die ihr Land auch durch Krisenzeiten gut durchbringt, verlassen wollen.

In diesem Zusammenhang tauchen nun Fragen nach speziellen Kompetenzen und Expertenwissen auf. Die Wirtschafts- Corona- Klimakrise und nun der Krieg in der Ukraine verlangen nach Expert:innen auf dem jeweiligen Gebiet.

Die Frage die sich stellt ist: Wie kann eine demokratische Gesellschaft auf Basis neuer Technologien aufgebaut werden?

Wir sind konfrontiert mit der Globalisierung, der scheinbar grenzenloser Informationsfreiheit und doch auch Zensur, mit wissenschaftlichen Innovationen, Entwicklungen digitaler Kultur im Film, Literatur, Musik und bildender Kunst, Biotechnologie, der Entwicklung des Weltraums um hier ein paar zu nennen.

Zweifelsohne gehört die digitale Transformation zu den wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts. Hier sind Auswirkungen in jedem System zu beobachten, weil hier eine permanente Veränderung stattfindet, an die Organisationsprozesse flexibel angepasst werden müssen. Man ist auf der Suche nach Optimierungspotenzial, doch gerade im Bildungssystem fehlen Leute, die das professionell, effizient und nachhaltig umsetzen können. Das Bildungssystem ist jedoch das erste Startkapital der Wissensvermittlung das die Welt braucht, um mit ihren Veränderungen zurechtzukommen. Dazu gehört eine gute ausgebildete junge Generation. Und diese wiederum braucht fähiges Lehrpersonal, das sich diesen Herausforderungen stellen möchte.

Im Bildungssystem wurde eines sichtbar: Nach ca. 37 Jahren Computer und 20 Jahren Internet (die Internet-Enzyklopädie Wikipedia wurde 1993 gegründet) ist die Digitalisierung an Schulen noch immer nicht angekommen bzw. gelingt die Bildung unserer Schüler:innen nicht.

Durch die Kettenreaktion an Krisen, mit denen wir nun konfrontiert sind, wurde eine digitale Bildungskatastrophe sichtbar, die schon seit längerem Bildungswissenschaftler dazu veranlasst, nach einer Bildungsrevolution zu rufen. Leider bleiben diese Rufe unerhört, da werden interessante Publikationen zu diesem Thema einfach ignoriert. Derweil wird in der aktuellen Krise was anderes sichtbar, nämlich die Kluft zwischen guten und schwachen Schüler:innen. Die Frage die nun auch sichtbar wird ist: Werden „neue Medien“ ein Instrument der Eliten?

Diese Fragen von Bildungsgerechtigkeit im digitalen Kontext darf man nicht unterschätzen.

Zusätzlich zu diesem „digitalen Bildungsschock“, kam ein „Kriegsschock“. Mitten in unser relativ friedliches Zusammenleben, platzte im wahrsten Sinne des Wortes eine Bombe, vor der wir nicht mehr die Augen geschlossen halten können, nämlich die „digitale Bombe“. Und die birgt viel Bildungssprengkraft. Das Thema Bildung wurde auf diese Weise gesprengt. Es liegt nun zerrissen in allen Bruchstücken vor uns. Die Frage ist, wie können wir daraus ein sinnvolles Puzzle neu bauen? Wie sieht die Bildung von heute aus? Wir sind gefordert Bildung neu zu denken. Doch wer nimmt sich dessen an?

Denn mit dem Krieg in der Ukraine kommt ein neues gesellschaftliches Phänomen dazu, das ich „Kulturschock im Klassenzimmer“ bezeichnen würde. Plötzlich sitzen in den Klassen Kinder aus einem Kriegsgebiet neben unseren Schüler:innen. Und diesmal handelt es sich um Kinder und Jugendliche, die zum Teil auffällig gut ausgebildet sind, talentiert und trotz dieses Traumas und der Entwurzelung die sie gerade erleben, relativ selbstbewusst auftreten. Warum? Weil sie sich nun mit unseren Schüler:innen vergleichen können. Weil sie schulische Fähigkeiten haben, die unsere Schüler:innen nicht immer nachweisen können, nämlich gute Englisch- und Computerkenntnisse. Weil sie wissen, was sie können. Bildung wird zu einer starken Waffe, wenn nicht der einzigen, um in einem fremden Land zu überleben. Wer einen  – auch digitalen – Bildungsvorsprung hat, dem gehört die Zukunft.

Vor der Volksschule stehen Mütter aus der Ukraine, die Informationen über den Schulalltag ihrer Kinder haben wollen. Sie sprechen ebenfalls bestes Englisch. Und fragen mich, ob ihre Kinder auch einen Computerunterricht haben könnten. Da gibt es einfach ein großes Interesse an einer guten schulischen Ausbildung. Da will man die Zeit in diesem Land gut nützen. Für sein Kind. Die Mütter selbst haben oft keinen Job, müssen mit anderen Familienmitgliedern auf engem Raum ihre Zeit absitzen, wie ich immer wieder höre, doch sie wollen für ihr Kind diese Zeit so sinnvoll wie möglich nützen. Und das geht nur über die Bildung.

Für mich stellt sich die Frage, warum spürte man diese hohen Erwartungen an das Bildungssystem seitens der Gesellschaft nicht auch vorher?

Die Wirtschaft sucht gut ausgebildete junge Menschen mit sehr guten Englisch- und Computerkenntnissen. Am interessantesten sind Bewerber:innen, die auch mehrere Sprachen beherrschen. Ob im Pflege- Tourismusbereich, bei der Polizei oder Pädagog:innen, die in einer Stadt wie Wien, es mit einem Schulsystem zu tun haben, indem viele Kinder sitzen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Das Potential dieser Kinder wird nicht genutzt. Eher gebremst. Begabungsförderung ist nicht wirklich sichtbar. Man beschäftigt sich mit Bildungsdefiziten, die immer größer werden. Das Schulsystem sollte lernen, von diesem Kapital zu profitieren und dieses so gut wie möglich zu fördern. In Deutschklassen wird es nicht passieren. Ich weiß wovon ich spreche. Ich kam 1981 mit 8 Jahren aus Polen nach Österreich. Die deutsche Sprache beherrschte ich nach zwei Jahren perfekt. Aber diese erlernte ich mitten unter anderen Kindern die Deutsch sprachen. Und nicht in einer Klasse mit Kindern, die nur ihre Muttersprache sprechen. Da geht viel wertvolle Zeit verloren. Den deutschen Wortschatz erweitert man vor allem in vielen anderen Unterrichtsgegenständen. Und da werden auch die Talente und Begabungen der Kinder am schnellsten sichtbar. Ein Kind, das mathematisch interessiert und begabt ist, wird mit Begeisterung die deutsche Sprache lernen, weil eine intrinsische Motivation vorhanden ist. Das erleichtert dann auch den Pädagog:innen die Förderung in ihrem Unterricht. Wenn ich jedoch Kinder zwinge, stundenlang sich nur mit der deutschen Sprache auf diversen Übungsblättern und Büchern auseinanderzusetzen, dann löse ich keine Motivation und Neugier aus. Kinder kann man leicht für etwas begeistern, aber da muss das vielfältige Bildungsangebot im Schulalltag auch sichtbar sein, gut genutzt und an die jetzige Zeit angepasst werden. Für alle Kinder unabhängig vom Herkunftsland und sozialen Status.

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