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Pädagogin Ludmila Schindler über Schule im Digitalen Zeitalter: Es ist Zeit, das System „Bildung“ zu überdenken!

by Yara El-Sabagh

Exclusive im #ConfareBlog: mit Ludmila Schindler über Schule im Digitalen Zeitalter
Es ist Zeit, das System „Bildung“ zu überdenken!

Etwa 50 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und 550 weitere Kinder sind bis heute im DigiFö-Computerförderkurs gewesen. Etwa 300 Schüler kommen pro Schuljahr dazu. Die erfahrene Pädagogin Ludmila Schindler agiert bewusst weitgehend unabhängig von der Bürokratie des Wiener Bildungswesens. Ludmila nennt es „Bildungspolitik vom Wohnzimmer aus“.

Im zweiten Teil unseres Bloginterviews geht es um den konkreten Handlungsbedarf um unser Bildungswesen fit für die Anforderungen unserer Zeit zu machen.

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Hier finden Sie Teil 3 des Interviews: JETZT LESEN

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Man hat den Eindruck, die Welt ändert sich rasant. Gleichzeitig scheint im Bildungssystem der Wandel nur sehr langsam zu passieren. Wie gut sind unsere Schulen denn wirklich an die Anforderungen unserer Zeit angepasst?

Man erlebt in vielen Bereichen einen Stillstand, aber auch eine Überforderung mit der digitalen Bürokratie.

Es fehlt an neuen Strategien, Innovationen und Ideen, die konkret umgesetzt werden können.

Wenn im Rahmen zweier Vorlesungen im Bildungswissenschaftlichen Studium Studierende im Bachelor und Master of Education befragt werden, welche drei Begriffe sie als erstes mit den Schlagworten „Digitalisierung und Bildung“ verbinden, als Antwort „fehlende Computer, schlechtes W-Lan und digital natives“ geben, dann sagt das viel aus und sollte uns zum Nachdenken bringen.

Die Ausstattung der Schulen in der fünften und sechsten Schulstufe mit digitalen Endgeräten ist ein Schritt, der schon vor Jahren hätte gesetzt werden müssen. Nun gut, es tut sich was. Zumindest an Mittelschulen und Gymnasien. Doch auch noch nicht zufriedenstellend. Denn die Schulen sind auf technischen Support angewiesen. Es fehlt auch an pädagogischen und didaktischen Konzepten für die Pädagog:innen und natürlich genügend Informatiklehrer:innen. Wenn ich jedoch in einer Zeitung ein Interview mit einem Schulleiter eines Gymnasiums mit dem Schwerpunkt Informatik lese und man von drei Klassen, die keine Laptops haben, weil es die Eltern im Schulforum so entschieden haben, dann frage ich mich: Wer übernimmt hier welche Entscheidungen? Manches wird von Schulleiter:innen im Rahmen der angeblichen „Schulautonomie“ entschieden, dann wiederum hängt die Beschaffung von digitalen Geräten am Schulstandort von einer Abstimmung durch Eltern ab? Wie kommen die Kinder dazu, die Interesse an einer guten schulischen Förderung haben? Wer übernimmt in ein paar Jahren die Verantwortung für diese digitale Bildungslücke?

Hier müssen klare Strukturen und Verantwortlichkeiten vorgegeben werden.

Wer fühlt sich für die Bildung unserer Kinder zuständig?

Und der beste Satz war: Hausaufgaben können die Schüler:innen auch vom Handy aus machen.

Das macht mich als Pädagogin sprachlos, aufgrund genau dieser Beobachtung, dass viele Schüler:innen zu Beginn der Coronakrise ihre Hausaufgaben vom Handy aus erledigen mussten und ich deshalb im Mai 2020 gemeinsam mit Herrn Mag. Dr. Wolfgang Gröpel eine Laptopspendenaktion für ökonomisch benachteiligte Schulkinder ins Leben gerufen habe.

Wenn nun an Schulen digitale Endgeräte verteilt werden, stellt sich natürlich die Frage:

Wie gut sind unsere Schulen wirklich an die neuen Anforderungen angepasst?

Dazu müssen wir uns auch fragen: Was wussten unsere Schüler:innen bisher über das Arbeiten mit einem digitalen Gerät? Welche digitalen skills beherrschten sie bisher? Wie und wann kamen die bisher erworbenen digitalen Fähigkeiten zum Einsatz? Wo stehen die Schulen was die Vermittlung digitaler Inhalte anbelangt? Leider noch am Anfang.

Wenn Jugendliche nach dem 9. Pflichtschuljahr große Unsicherheiten beim Verfassen von Lebensläufen und Bewerbungsschreiben haben, dann wird einem klar, dass es sich hier zuerst einmal um große Lücken im Programm Word handelt. Da bin ich noch nicht bei einer Power Point Präsentation während eines Bewerbungsgesprächs oder gar dem Arbeiten mit einem Excelprogramm. Da gibt es also viel Nachholbedarf.

Das war auch der Grund, warum ich zu Beginn der Coronakrise im Oktober 2020 an meiner Mittelschule im 10. Bezirk mit einer Integrationsklasse die Digitale Förderinitiative an Wiener Volks- und Mittelschulen ins Leben gerufen habe.

Viele Pädagog:innen, vor allem die ältere Generation ist nicht gewohnt gewesen, mit einem Computer im Unterricht zu arbeiten. Plötzlich wurde und wird das aber verlangt. Da nur eine kleine Gruppe, die vor sechs bis zehn Jahren die ersten Fortbildungsseminare auf diesem Gebiet besuchte, die Fähigkeit besitzt, das Thema methodisch und didaktisch richtig anzugehen, wurde diese Problematik auch an den Schulen sichtbar. Hier war die ältere Lehrer:innengeneration auf die jüngere angewiesen. Dies verlangte eine neue Kooperation zwischen den Generationen. Ein heikles Thema. Es ist leider nicht selbstverständlich, dass man hier voneinander lernen will. Da ist eine neue Schulkultur – und partnerschaft gefragt.

Doch damit war ein reibungsloser Onlineunterricht noch immer nicht garantiert. Denn auch die heute 25- bis 35-Jährigen sind mit den Anforderungen der Digitalisierung an Schulen überfordert. Diese Beobachtung mache ich, wenn ich mir die Kursberichte aus den DigiFö-Computerförderkursen durchlese, bevor ich damit eine notwendige Öffentlichkeitsarbeit mache. Anhand dieser erkenne ich, wie professionell die Herangehensweise ist. Wie selbstverständlich es für manche ist, einen spannenden Unterricht unter Einsatz von Laptops, Tablets, I-Pads zu gestalten. Oder eben nicht selbstverständlich ist und sich manche doch schwer tun, einfachste digitale Inhalte kindgerecht umzusetzen. Manche Pädagog:innen sind da doch überfordert. Da geht es um einen neuen Spagat, nämlich: Unter Einsatz von Medien, eine neue Generation von Schüler:innen mit neuem digitalen Know-How auszustatten, im Schulalltag zu begleiten, bestmöglich auf die weitere Schullaufbahn vorzubereiten, für neue digitale Inhalte zu interessieren und digitales Wissen zu vermitteln. Und da habe ich noch das Thema Inklusion nicht dabei. Eine Lehrerin hat nach sechs Kurseinheiten, wo sie guten Glaubens noch vier Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in die Gruppe integrierte, aufgegeben. Der stressige Schulalltag, die professionelle Vorbereitung auf einen digitalen Unterricht, die heterogene Schüler:innengruppe mit unterschiedlichen Erfahrungen mit digitalen Geräten das war zu viel für sie.

Wo siehst Du am meisten Handlungsbedarf?

Es ist höchste Zeit, das System „Bildung“ zu überdenken!

Die Veränderung darf keine graue Theorie bleiben, sondern sie muss wirklich vor Ort in den Schulen und in den Klassen mit den Schüler:innen stattfinden.

Ich bin seit zwölf Jahren als Sonderpädagogin in Integrationsklassen tätig. Mein Schwerpunkt ist die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, mit unterschiedlichen Diagnosen und der bestmöglichen Beratung der Eltern, um diese Kinder so gut wie möglich im Schulsystem zu integrieren und ihnen eine Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Interdisziplinäres Arbeiten mit Fachleuten gehört dazu. Dazu gehören die Pädagog:innen, die in diesen Klassen unterrichten, Beratungslehrer:innen, Psychagog:innen, Sozialarbeiter:innen, Schulärzt:innen, Kinderpsycholog:innen, Jurist:innen und natürlich Schulleiter:innen, die diese Kooperationen ermöglichen.

Das Bildungssystem steht vor vielen Herausforderungen, die nur gemeinsam gelöst werden können. Hier ist eine professionelle Zusammenarbeit gefragt. Doch wie soll diese funktionieren, wenn es an Personal in allen Berufsgruppen fehlt?

Das Anforderungsprofil an Schulleiter:innen muss jetzt ein anderes sein. In Krisenzeiten ist professionelles Krisenmanagement gefragt. Dieses verlangt nach Kompetenzen in der Kommunikation und Information, Handlungs- und Entscheidungskompetenzen und Interesse an einer modernen Schulentwicklung.

Ohne diese Führungsfähigkeiten, hat auch die neue Lehrergeneration Probleme, sich im jetzigen Schulsystem zurechtzufinden. Die Junglehrer:innen sind einfach überfordert. Sie werden während ihrer Ausbildung, überhaupt nicht auf das Schulleben mit all seinen Herausforderungen vorbereitet. Die Fluktuation an Schulen ist enorm. Die Unzufriedenheit ist auf jeder Ebene nicht zu überhören. Schulleiter:innen fragen sich, wie lange sie sich das noch antun wollen. Haben keine kompetenten Ansprechpartner auf der nächsten Ebene. Sie brauchen auch Führung, Unterstützung und Begleitung in das neue Schulsystem nach dem jeder ruft und das sich neu erfinden muss.

Die Schulleiter:innen müssen von bürokratischen Belastungen befreit werden. Das passiert nach wie vor nicht und begonnen hat es ab dem Ausbruch der Pandemie. Voriges Schuljahr war der Schulalltag begleitet von vielen nicht nachvollziehbaren Entscheidungen der Gesundheitsbehörden mit einer chaotischen PCR-Testlogistik konfrontiert und mit vielen Krankenständen unter den Lehrer:innen. Heuer erlebte ich einen für die Schulleiter:innen sehr fordernden und belastenden Schulanfang. In erster Linie aufgrund einer Lawine an behördlichen Anordnungen und Abfragen, die innerhalb kürzester Zeit erledigt werden mussten. Dabei fehlt es an Transparenz, wofür all diese Eingaben die im Bildungsministerium landen, getätigt werden? Wer profitiert von dieser massiven Datensammlung, die weitergeleitet wird? Wem kommt das im Bildungssystem zugute? Was soll es verändern? Und Wann? Was hat das Bildungssystem von zahlreichen Evaluationen, wenn die Erkenntnisse daraus nicht im Schulalltag ankommen?

Ich bin für Qualitätssicherungsmaßnahmen, doch diese können doch nicht nur in Papierform überprüft werden. Papier ist geduldig. Man kann auch in kürzester Zeit bestimmte Projekte an Schulen umsetzen, doch es darf sich nicht um eine Umsetzung wie am Fließband handeln, die an Qualität verliert. Das hat mit Schulentwicklung nichts zu tun. Die Schulen fühlen sich nur noch kontrolliert, aber nicht wertgeschätzt. Es fehlt an positivem Spirit in der Bildungsarbeit. Es fehlt an einer Wahrnehmung einer sinnvollen pädagogischen Arbeit. Alle fühlen sich nur noch irgendwie gezwungen, zu funktionieren, Projekte durchzuziehen, um diese bei Bedarf griffbereit vorweisen zu können. Noch dazu in Krisenzeiten. Doch die Schulen haben mit vielen Problemen zu kämpfen.

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