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Schule zwischen Veränderungsdruck und Ressourcen-Mangel: „Die aktuellen Lehrpläne gehören allesamt in die Tonne“

by Yara El-Sabagh

Exclusive im #ConfareBlog mit Matilda Heubach: alles rund um Schule und Bildung

Mit Livin IT Young Perspectives ermöglicht Confare in diesem Jahr erstmals Schüler:Innen den Besuch des Confare #CIOSUMMITs, des wichtigsten IT-Management Treffpunkts Österreichs. Sie erhalten einen Einblick in die Welt von IT und Digitalisierung, treffen hochkarätige Manager und können mehr über Perspektiven und Jobaussichten in diesem Umfeld lernen.

Im Zuge der Vorbereitung der Veranstaltung haben wir mit Bildungsexperten und Pädagogen über Schule und Digitalisierung gesprochen.

Als Bildungssystemdesignerin befasst sich Madita Heubach mit der Gestaltung moderner Lehr- und Lernräume und Konzepte. Wir haben über den Veränderungsdruck im heutigen Bildungssystem, steigende Anforderungen und mangelnde Ressourcen gesprochen.

Auch die CIO und CDO Community ist gefragt. Was können Unternehmen und ihre IT zu einer besseren Welt beitragen? Dafür gibt es die Confare #ImpactChallengeNominieren und Einreichen ist jetzt möglich!

Man hat den Eindruck, die Welt ändert sich rasant. Gleichzeitig scheint im Bildungssystem der Wandel nur sehr langsam zu passieren. Wie gut sind unsere Schulen denn wirklich an die Anforderungen unserer Zeit angepasst?

Aus systemischer Sicht zielt diese Frage auf einen sehr komplexen Sachverhalt. Ich versuche ihn hier zu umreißen. Die Gegebenheiten der VUCA-Welt, in der wir aktuell leben, verlangen von Systemen und Organisationen eine Flexibilität in ihren äußeren Strukturen, während sie Stabilität zukünftig von innen heraus gewinnen. Das Bildungssystem jedoch ist aus historischen Gründen nach wie vor ein System, das durch seine äußeren Strukturen Stabilität einfordert, was dazu führt, dass es unter den realen Gegebenheiten in seinem Inneren orientierungslos und chaotisch agiert. Bisher ist es nicht gelungen, den Wandel zu vollziehen und neue Stabilität von innen heraus aufzubauen, sodass die äußeren Strukturen neue Flexibilität und Dynamik zulassen können.

Wie sehr hat sich Corona denn auf unser Bildungswesen ausgewirkt?

Die Corona-Krise hat die ohnehin schon seit Langem schwelenden Probleme des Systems massiv verstärkt und offensichtlich gemacht. Dazu gehören die Chancenungleichheit für die Lernenden, aber auch die Arbeitsüberlastung für die Lehrenden, die aktuell massenhaft das System verlassen und den Fachkräftemangel noch mehr verschärfen.

Wo siehst Du am meisten Handlungsbedarf?

Wenn ich priorisieren muss, weil wir einen eklatanten Ressourcen- und Fachkräftemangel im System haben, dann wäre meine erste Handlung, unsere Lehrpläne allesamt in die Tonne zu werfen und neue, sehr schlanke Lehrpläne aufzusetzen, die sich in der Primarstufe allein auf die Kulturtechniken sowie grundlegende Kompetenzen (auch hier gibt es reichlich Forschung und Empfehlungen, welche dies sind) und deren Einübung konzentrieren, während in der Sekundarstufe anhand von Meta-Lernzielen und phänomen- bzw. projektorientiertem Lernen Raum für selbstbestimmtes Lernen gegeben wird, z.B. wie durch den FREI DAY. Jetzt kann die Lehre auch sinnhaft durch andere pädagogische Fachkräfte unterstützt werden, die kein Schulfachliches Studium erfordern.

In einem zweiten Schritt würde ich alle Schulen mit Fachkräften aus den Bereichen Psychologie, Medienpädagogik, IT, Verwaltung und Management ausstatten, damit sich die Lehrkräfte und Pädagog:innen wieder auf ihre eigentliche Aufgabe konzentieren können, während sich Expert:innen ihrer Bereiche um die anderen anfallenden Aufgaben kümmern. Zum Vergleich: In einem Unternehmen gibt es bereits diese Aufgabenteilung wie selbstverständlich. Aber von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen wird immer noch erwartet, dass all diese komplexen Aufgaben von einer Person bewältigt werden, die eine Qualifikation in ihren Schulfächern und in Pädagogik besitzt – also keine Ahnung von Management und IT hat.

Und wenn ich noch Platz für einen dritten Schritt habe, dann würde ich den Digitalisierungsprozess an Dienstleister auslagern, die Expert:innen in ihrem Gewerk sind und parallel mehrere Schulen gleichzeitig betreuen können.

Was uns gar keinen Aufwand kostet und sofort umgesetzt werden kann, ist die Abschaffung von Noten und Prüfungen. Sie erfüllen keinen lernfördernden Effekt, das haben zahlreiche Studien hinlänglich belegt. Aber sie können Lernen behindern.

schuleWelche Perspektiven bietet die Digitalisierung für das Schulsystem?

Digitale Technologien und Medien sind Werkzeuge, die einen enormen Impact auf unsere gesellschaftlichen Strukturen haben, ähnlich wie die Erfindung des Rads oder der Landwirtschaft. In diesem Sinne bergen sie enormes Potenzial unsere Weiterentwicklung zu unterstützen, während wir außerdem lernen müssen, Verantwortung für die Konsequenzen zu übernehmen und neue Handlungs- und Verhaltensstrategien brauchen. Kurzum: Wenn ich das Potenzial dieses Werkzeugs ausschöpfen möchte, muss ich lernen, wie ich es anwende.

Insofern nützen all die schönen Tablets und Edtech-Software wenig, wenn ich als Bildungsorganisation kein hinreichendes Konzept und arbeitsorganisatorische Prozesse besitze, die einen sinnhaften Einsatz der digitalen Werkzeuge ermöglichen.
Habe ich jedoch sowohl das Konzept als auch passende Prozesse, eröffnet sich ein unerschöpflicher virtueller Raum an Möglichkeiten, der meine Realität erweitert und mir neue Lernhorizonte eröffnet.

Wo können zum Beispiel EdTechs wirklich etwas beitragen?

Anknüpfend an meine vorherige Antwort liegt bei den Edtech-Unternehmen eine gewisse Verantwortung, zumindest im DACH-Raum, die Schulen an die Hand zu nehmen und sie bei der Implementierung ihrer Anwendungen hinreichend zu unterstützen. Insofern müssen sie sich ihren Markt selbst noch bereiten, bevor sie ihn erobern können. Denn was nützt mir die Lizenz für eine tolle Lernplattform, wenn ich sie nicht nutzen kann, weil ich kein Wlan habe?

Deshalb widme auch ich mich gemeinsam mit Tom Härter und Clarissa Meyer nun genau dieser Aufgabe.

*Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag das generische Maskulinum verwendet. Die in diesem Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.

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