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Exklusiv im Interview: Reinhard Riedl, Forschungsprofessor am Institut Digital Technology Management der Berner Fachhochschule, Demokratie in Gefahr – wie sich Medien auf unsere Gesellschaft auswirken

Reinhard Riedl ist Gründer und heute Herausgeber des Wissenschaftsblogs www.Societybyte.swiss. Er war Präsident der Schweizer Informatik Gesellschaft und ist aktuell Vizepräsident des IT-Nutzervereins SITIC.org. In diesem 2-teiligen Interview beleuchtet er unter anderem die Krise der liberalen Demokratie durch Digitalisierung und in welche Verantwortung IT- und Digitalisierungsprofis gezogen werden.
Dies ist der 2. Teil dieses Interviews – Lesen Sie HIER den 1. Teil.
Du sprichst von der “Krise der liberalen Demokratie” durch Digitalisierung – wie können wir diese Krise überwinden und gleichzeitig die positiven Effekte der Technologie nutzen?
Einfacher ist, zu benennen, was voraussichtlich nicht funktionieren wird: Verbote von Fake News, Faktenchecks und Co. Deutsche Gerichte haben in einzelnen Fällen vernichtende Urteile über die Arbeit der Faktenchecker gefällt. Sie geben sich oft nicht einmal Mühe, zu verbergen, dass sie selbst manipulieren wollen. Hätte man ein bisschen über die Natur von Fake News nachgedacht, wäre man wohl gar nie auf solche Ideen gekommen. Zu offensichtlich die Ähnlichkeit zu Faucaults Wahrheitsregimen.
Aber anyway, ich will mich nicht durch Zitate von Philosophen um die Antwort drücken. Ein Teil der Lösung könnte sein, dass wir die gesellschaftlichen Konflikte als solche anerkennen. Das heisst für mich zweierlei: Politisch müssen wir offen darüber diskutieren, beispielsweise darüber, wie wir anfällige Menschen in Pandemien schützen und wie wir – das wird bei der nächsten Pandemie ein Riesenthema werden, wie Malcolm Gladwell zu Recht sagt – mit Superspreadern umgehen. Mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft solche Fragen niederzuprügeln ist grober Unfug. Privat hingegen ist es wichtig, Differenzen zu gesellschaftlichen Themen auszuklammern.
Ich erlebe derzeit, dass ich die besten Beziehungen mit Menschen habe, mit denen ich ein kritisches Thema ausklammere. Mit Kollegin X ist es das Thema Impfen, mit dem befreundeten Ehepaar Y ist es das Thema Ukrainekrieg, mit der engen Freundin und Künstlerin Z ist es das Thema Israel, und, und, und. Man muss sich da zurücknehmen und darf dafür auch erwarten, dass es andere auch tun. Um ein nur vermeintlich harmloses Beispiel zu nehmen: dass ich von London bis Wien ins Theater gehe und schon in 25 von 26 Schweizer Kantonen im Theater war, ist aus Sicht vieler Menschen schlicht daneben. Sie sagen es mir aber selten ins Gesicht und das ist gut so. Dafür akzeptiere ich ihre Besonderheiten wie beispielsweise, dass sie vom Spekulieren mit Cyberwährungen leben.
Der zweite Teil der Lösung ist – und das sage ich im Indikativ, nicht im Konjunktiv – dass wir massiv in die Verbesserung der Bildung investieren – und das heisst in der Schweiz, dass das Fach Medien und Informatik beides unterrichtet: Computational Thinking und Medienkompetenz!
Der dritte Teil der Lösung könnte sein – Du siehts, ich spreche wieder im Konjunktiv – dass wir uns an der Legende vom Blinden und vom Lahmen ein Beispiel nehmen, wie der Künstler Fabian Meier vorschlägt. Dass wir also von Theatern bis zu Online-Plattformen geschützte Räume der gegenseitigen Hilfe schaffen. Das hat nichts mit den sicheren Räumen an amerikanischen Universitäten zu tun, welche vermutlich ein Teil des Problems der amerikanischen Demokratie sind. Es geht vielmehr darum, dass wir das im Menschen genetisch verankerte Prinzip des reziproken Handelns – wir erben das, bevor wir uns es zusätzlich noch kulturell aneignen – nutzen, um neue Kooperationsformen zu entwickeln. Denn eine positive Erfahrung der Kooperation mit gänzlich anders veranlagten Menschen stärkt auch die Bereitschaft, Lösungen mitzutragen, die anderen Teilen der Gesellschaft nutzen. Hier gibt es ein weites Feld für die Nutzung von Algorithmen und digitalen Werkzeugen.
Wichtig scheint mir, klare Konzepte zu haben, was die Demokratie stärkt – und dann diese Konzepte transdisziplinär digital umzusetzen. Wir können mit digitaler Technologie sehr viel machen, aber wir müssen schon wissen, was wir machen wollen, und es braucht Kreativität bei den Geschäftsmodellen, dass es auch finanzierbar ist.
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Welche Verantwortung tragen IT- und Digitalisierungsprofis, wenn es darum geht, demokratische Werte und Prinzipien in einer zunehmend technologisierten Welt zu schützen?
Zuallererst ist es ihre Verantwortung, so meine ich – kleines Cicero Zitat für Dich, Michael – dass sie ihre Projekte ethisch reflektieren. Jürg Gutknecht und ich [1] wollte dazu früher einmal ein Unterstützungswerkzeug bauen, konnte aber keine Finanzierung auftreiben.
Ethisch reflektieren, heisst hier viel mehr, als normative Ethik anwenden. Es heisst, sich sehr umfassend die richtigen Fragen stellen. Hinterfragt werden sollten Nutzungsziele, verwendete Heuristiken, digitales Design, Implementierungsqualität, Möglichkeit zur nicht beabsichtigten Nutzung, sowie mögliche Fehler bei der Nutzung. Häufig wird grober Unfug dort getrieben, wo die Menschen gar nicht mitbekommen, dass sie Designentscheide treffen, beispielsweise bei Heuristiken. Daneben ist die Nutzung der Technologie für Nichtvorhergesehenes ein grosses Risiko.
Zusätzlich zu diesen Fragen sollte man auch auf ethische Anti-Patterns achten, beispielsweise Diskriminierung ohne Feedback. Und es ist wichtig, die tatsächlichen Werteperspektiven der Menschen zu berücksichtigen, wenn es um die praktische Einführung geht.
Darüber hinaus sollte der Fokus der Digitalisierung darauf liegen, Menschen zu befähigen, fachlich besser zu handeln. Sind sie es gewohnt, digitale Werkzeugte effektiv im Beruf zu nutzen, werden sie das auch tun, um sich politisch zu informieren. Persönlich bin ich auch dafür – ganz im Sinne von Acemoglu und Johnson – dass wir viel mehr in KI zum Befähigen von Menschen investieren als in KI zum Ersetzen von Menschen.
[1] Jürg Gutknecht und Reinhard Riedl waren beide Präsidenten der Schweizer Informatik Gesellschaft – der Schwestergesellschaft der GI in Deutschland Österreichischen Computer Gesellschaft.
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Wie können Unternehmen, Bildungsinstitutionen und Politik gemeinsam dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt hält?
Erstens durch Weiterbildung. Wir hatten zum Beispiel die Gelegenheit, die Geschäftsleitung des 8 Milliarden Umsatz Konzerns Fenaco in Sachen digitaler Transformation zu schulen, sowie über 150 Kaderleute des Konzerns. Das ist leider noch die Ausnahme. Topleute meinen, für Weiterbildung keine Zeit zu haben. In der Politik scheint die Nicht-Bereitschaft sogar noch weiter verbreitet. Ein Kollege aus Österreich ist mit Gratisangeboten in der eigenen Partei gescheitert. Bildungsinstitutionen müssen aber auch dafür bereit sein, massgeschneiderte Weiterbildung anzubieten und nicht einfach Weiterbildung ab Stange zu verkaufen.
Zweitens durch einen Richtungswechsel in der Forschung: Statt primär zu forschen, wie wir KI für Automatisierung, Überwachung und Manipulation einsetzen können, sollten wir viel mehr dazu forschen, wie wir KI dazu nutzen können, die Menschen zu befähigen, anspruchsvolle Aufgaben zu übernehmen. Ergänzend wäre Forschung in Richtung politische Medien anstelle der sozialen Medien sinnvoll: Wie können Menschen dabei unterstützt werden, politische Gemengelage zu verstehen oder/und mit Andersdenkenden gemeinsam Lösungen zu entwickeln? Die Fortschritte in der generativen KI liefern dafür eine Grundlage. Und last but not least sollte mehr transdisziplinär in diesen Bereichen geforscht werden – mit multidisziplinären Teams, welche professionell interdisziplinär zusammenarbeiten und im Rahmen dieser Praxis zu einem transdisziplinären Arbeiten gelangen.
Drittens durch die Entwicklung einer politisch nutzbaren Auslegordnung zur digitalen Transformation. Wir hatten nach dem zweiten Weltkrieg lange Keynes Theorie als Leitbild für die Wirtschaftspolitik, danach den Neoliberalismus, garniert mit Finanzmathematik – es soll in Österreich noch immer Gemeinden geben, die Kredite in Schweizer Franken zurückzahlen. Heute haben wir ausser ziemlich falschen Mythen gar nichts. Ich habe beispielsweise zwei Freunde, mit den ich nicht über Handelstheorie und Globalisierung rede, weil der Streit uns entzweien würde.
Schlimmer noch, fast niemand will es wahrhaben, dass etwas sich gerade grundlegend verändert: Bei Studierenden, Dozierenden, Führungskräften, Kunstschaffenden und in der Politik gibt es eine grosse Mehrheit, die glaubt: La transformation numérique n’existe pas. Von der Schweiz sagte man früher, sie sei nur eine Armee, aber die digitale Transformation ist in den Augen vieler Menschen noch viel inexistenter als es die Schweiz je war. Sie klagen über Gott, die Welt und die Digitalisierung – aber sie sind überzeugt, dass eine digitale Transformation nur ein hohles Schlagwort ist. Daran müssen wir etwas ändern. Wir müssen die stattfindenden Transformation den politischen Parteien erklären und ihnen Konzepte an die Hand geben, um eine vernünftige digitale Wirtschaftspolitik zu machen.