Valerie Höllinger, Austrian Standards: Wie IT, Daten und Digitalisierung Kundenorientierung möglich machen
Es ist immer wieder eines der Highlights des Confare #CIOSUMMIT Wien: Die Vorstands-Diskussion geleitet von EY Chef Gunther Reimoser zur Frage: Was erwarten Geschäftsführer und Vorstände von ihrer IT, ihren Dienstleistern und der Digitalen Transformation?
Es ist sehr packend, wenn die Auftraggeber der IT-Manager, die unsere Veranstaltungen so zahlreich besuchen, zu Wort kommen. So packend, dass wir in unserem kommenden Factsheet in Zusammenarbeit mit Sphinx IT-Consulting noch tiefer in die Materie gehen. Abonnieren Sie unseren Newsletter, um den Launch des Factsheets nicht zu verpassen oder holen Sie sich das Confare Factsheet Abo!
Valerie Höllinger ist CEO von Austrian Standards. Als Kompetenzzentrum rund um Standards und Innovationen bietet man eine vielfältige Palette an Dienstleistungen: von der Entwicklung von Standards über die Mitarbeit an Europäischen und internationalen Standards bis hin zu Zertifizierungen, eigener Fachliteratur, der Organisation von Vortragsveranstaltungen sowie internationalen Forschungsprojekt- und Consulting-Leistungen. Die Welt der Standards ist international und zunehmend digital. Im Bloginterview spricht Valerie über datengetriebene Innovation, ihre Erwartungen an die IT und den Faktor Mensch.
Welche Auswirkungen hat die Digitale Transformation der Wirtschaft auf Ihre Branche?
Eine enorme. Standards werden mittlerweile zu über 90 % international entwickelt. Dafür braucht es tausende Fachleute aus allen Ländern, die sich regelmäßig vernetzen und austauschen. Der zentrale Ort, „where the magic happens“, sind da die Komitees und Arbeitsgruppen, die national, europäisch und international tagen.
Durch die Covid-Pandemie wurden diese Sitzungen massiv auf digital umgestellt. Allein bei uns sind 1.200 Komiteesitzungen letztes Jahr per GoToMeeting, Zoom & Co gelaufen. Dadurch kam es zu einem Effizienzschub. Die Zeitfrage ist für uns ein wesentliches Thema, da die Teilnahme an der Standardisierung viel Zeit kostet. Wenn Wegzeiten eingespart werden können, haben wir und die Expertinnen und Experten deshalb viel gewonnen.
Verstärkte Kundenzentrierung ist aber bei allen Transformationen unser wesentliches Ziel. Dafür ist es IT-seitig auch wichtig, die richtigen Technologien zu pushen: Um Standards für unsere User noch effizienter zu gestalten, werden wir deshalb zukünftig auf maschinenlesbare Standards setzen. Wir bereiten unsere Standards dann in XML auf. Dieses Format ermöglicht, zu jedem Content Metainformationen zu hinterlegen. Effekt: Wenn sich beispielsweise eine Formel in einem Standard ändert, dann spuckt ein „machine readable“ Standard die geänderten Ergebnisse bereits nach der neuen Formel aus. Das spart unseren Kundinnen und Kunden Zeit.
Eine weitere Weiterentwicklung: Co-Authoring Tools, mit denen man einen Standard zeitlich noch flexibler – und natürlich transparent und nachvollziehbar für die anderen Expertinnen und Experten – bearbeiten kann. In naher Zukunft werden dadurch vielleicht viele Sitzungen obsolet und die Entwicklungszeit weiter verkürzt werden.
Welche Rolle spielen IT und Digitalisierung für die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens?
Eine ganz entscheidende, weil sie uns ermöglicht, rascher und kundenzentrierter zu arbeiten. Gegenwärtig beschäftigt sich im Rahmen der EU-Standardisierungsstrategie die Task Force „Timely European Standards for a Green and Digital, Single and Global Market” auf europäischer Ebene mit Beschleunigungsmaßnahmen. Bei der europäischen Normungsorganisation CEN wird etwa gerade an einem Open-Source-Projekt gearbeitet. Für uns ein wichtiges Thema, da Open-Source-Lösungen dazu beitragen können, einen Standard leichter in bestehende Prozesse zu integrieren. Bedeutet: Ich kann einen Standard operativ sofort nutzen. Wie eine Software, die ich installiere und die alles automatisch zu verarbeiten beginnt und mir die richtigen Ergebnisse auswirft. Von der korrekten Formel für die Berechnung von Schneelasten auf Hausdächern bis zur Qualitätsstufe von Sicherheitsglas für Maschinen. Das bietet eine enorme Erleichterung für unsere Kundinnen und Kunden.
IT und Digitalisierung beschäftigen uns aber nicht nur in der Branche und im Unternehmen, sondern auch als Gegenstand in der Standardisierung. Gerade in digitalen und vernetzten Systemen muss Interoperabilität – also Anschlussfähigkeit – gegeben sein. Schnittstellen müssen definiert werden. Dafür braucht es Standards, weil sie für Klarheit und eine gemeinsame Sprache zwischen den Geräten sorgen. KI, Cybersecurity, Building Information Modeling BIM, Nanotechnologie und natürlich alles, was mit „Smart“ zu tun hat (Smart City, Smart Farming usw.), sind deshalb große Themen in der Standardisierung.
Ein wichtiges Thema aus meiner Sicht: die „menschliche Komponente“. Wenn in Zukunft vieles automatisiert abläuft, wird es Standards brauchen, um die Mensch-Maschine-Interaktionen z. B. in Produktionsabläufen zu regeln und sicher zu gestalten. Gegenwärtig wird etwa eine Spezifikation (ISO/AWI PAS 5672) ausgearbeitet, die ein Prüfverfahren definiert, mit dem die Krafteinwirkung und der Druckeinfluss gemessen werden können, die zwischen Mensch und Maschine entstehen können. Beispiel: Wenn ein Roboterarm zeitgleich mit einem Menschenarm aufs Fließband greift, merkt die Maschine durch die Sicherheitsparameter, die im Standard festgelegt sind, dass sie sich zurückziehen muss, um den Menschen nicht zu verletzen.
Wo sehen Sie dabei die wichtigsten Handlungsfelder als Unternehmer/Geschäftsführer?
Valerie Höllinger: Auf Führungsebene geht es für mich zunächst um die Frage der „Next Generation“. Den IT-Fachkräftemangel spüren wir natürlich auch und arbeiten deshalb stetig daran, für die jüngere Generation attraktiv zu bleiben. Ganz grundlegend geht es für mich darum, die unterschiedlichen Erfahrungsebenen in unserem Unternehmen zu verbinden und eine Basis für neue Arten der Zusammenarbeit zu schaffen. Unsere Leitlinie dafür lässt sich mit KARLA abkürzen. Was bedeutet das? Kundenzentriertes, Adaptives, Resilientes, Lösungsorientiertes Arbeiten.
Im Fokus stehen für uns dabei immer die Kundinnen und Kunden. Wir wollen nicht nur effizientere Lösungen bieten, sondern sie auch im Entwicklungsprozess noch stärker miteinbeziehen. Außerdem wollen wir adaptiv und resilient arbeiten, also unserem Team ermöglichen, auf sich ändernde Rahmenbedingungen und Anforderungen zeitnah zu reagieren und mit unerwarteten Änderungen in unserem Umfeld auch gut umgehen können. Und natürlich noch lösungsorientierter vorzugehen, also unsere Produkt- und Serviceleistungen weiterzuentwickeln und den Mehrwert, den unsere Leistungen schaffen, stetig zu optimieren. Gemeinsam wollen wir dabei noch stärker in abteilungsübergreifenden Teams arbeiten, unser Wissen bündeln, gemeinsam Verantwortung übernehmen und die Erfolge dann auch entsprechend feiern.
Wie wichtig sind Daten und analytische Fähigkeiten für moderne Unternehmensführung?
Valerie Höllinger: Beides ist essenziell. Unser Business lässt sich anders gar nicht denken. Unser größter Wissensschatz ist die Datenbank mit den – natürlich digital vorhandenen – Standardisierungsdokumenten. Woran wir arbeiten, sind u. a. noch bessere und angereicherte Suchergebnisse in unseren verschiedenen Online-Tools, damit Userinnen und User schnell und punktgenau das finden, was sie benötigen. Die neuen Technologien geben uns da auch neue Möglichkeiten in die Hand. Als Geschäftsführerin habe ich hier Unterstützung von einer COO, die unsere IT-Landschaft im Blick behält, aus den Daten-Analysen die richtigen Schlüsse zieht und Verbesserungen und Weiterentwicklungen auslotet.
Bei allem Enthusiasmus bleibt für mich schlussendlich aber die entscheidende Frage, was man mit dem Daten-Gold erreichen möchte. Daten sind heute in Unmengen verfügbar und man kann unendlich viel Zeit, Geld und Ressourcen darauf verwenden, sie DSGVO-konform zu sammeln, zu warten und zu analysieren. Die Herausforderung der Zukunft ist es, Menschen anzuziehen, die verstehen, wie datengetriebene Produktentwicklung funktioniert und wie intelligent gesetzte Messpunkte die Abläufe in Unternehmen laufend verbessern können. Diese Fähigkeiten gilt es dann bei allen MitarbeiterInnen zu verankern und laufend zu erweitern.
Ich finde, der Kommunikationsbereich macht die Potenziale recht deutlich. Früher war Marketing wie Kegeln: Wenn man alle Kanäle – Print, Hörfunk, TV – Below the Line ausgiebig bedient hat, konnte man sicher sein, dass man seine Botschaften unter die Leute gebracht hat. Jetzt ist Marketing wie Flippern: Zig Kanäle, die alle gleichzeitig bedient werden können und in unwahrscheinlich granulare Zielgruppen zerfallen. Wenn man hier mit klaren Zielen arbeitet, nur die wichtigsten KPIs im Auge behält, die Möglichkeiten des Online-Targetings nützt, niederschwellig kommuniziert und sein Kommunikationsverhalten laufend anpasst, kann man viel weiterbringen.
Was sind die schlimmsten Hürden, wenn es um digitale Innovation im Unternehmen geht?
Valerie Höllinger: Eine große Herausforderung ist für uns etwa die Komplexität unserer Customer Journeys: Wir bedienen derzeit viele unterschiedliche Branchen und Unternehmensgrößen, Anwenderinnen und Anwender von Standards und Menschen, die diese schaffen. Eine unserer größten Herausforderungen ist es, unsere digitalen Touchpoints so zu gestalten, dass wir die Anliegen unseres Gegenübers in möglichst wenigen Schritten verstehen und bedienen können. Unsere Webseite und unser Shop müssen durch intelligente Userführung aus meiner Sicht noch intuitiver werden und unsere Kunden schneller zum Ziel bringen. Da müssen wir unsere Kundinnen und Kunden auch noch stärker in die Entwicklungsprozesse miteinbinden.
Welche Probleme der Userinnen und User können wir heute besser lösen als vor einigen Jahren? Wie verändert sich das Geschäftsmodell? Und was ist unser Purpose? Sehr oft verschließt man sich diesen Fragen, da es sich dabei durchwegs um „harte Nüsse“ handelt, die auch das Potenzial haben, tiefe Einschnitte in die eigenen Geschäftsmodelle vorzunehmen. Diese Hürden gilt es zu nehmen.
Vor allem das Mindset. Eine „das haben wir immer schon so gemacht“-Einstellung erstickt jede Transformation bereits im Keim. Daher ist es wichtig, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur die Methoden und Skills zu vermitteln, sondern auch zu zeigen, welche Dinge sich in der Praxis bereits bewährt haben. Das fördert das Um-die-Ecke-Denken. Wenn es um digitale Innovation geht, muss man unbedingt die Kundinnen und Kunden, genauer gesagt die Anwenderinnen und Anwender, in den Mittelpunkt stellen.
Was sind Ihre wichtigsten Anliegen an IT-Verantwortliche in Ihrem Unternehmen?
Valerie Höllinger: Zunächst geht es um die Basics. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, das sehr vernetzt ist und mit ganz unterschiedlichen Branchen zusammenarbeitet. Bei uns muss man tatsächlich das Tagesgeschäft kennen und verstehen. Als IT-Verantwortlicher bei uns ist es deshalb extrem wichtig, das Business, die Geschäftsmodelle, die unterschiedlichen Perspektiven und internen Prozesse zu kennen und immer wieder proaktiv Ideen einzubringen. Nur mit diesem Hintergrundwissen kann die IT für uns maßgeschneiderte Lösungen anbieten. IT ist einfach mehr als nur „Infrastruktur bereitstellen“. Sie ist ein zentraler Punkt in der Weiterentwicklung unserer digitalen Produkte. Deshalb haben wir auch ein eigenes Entwicklerteam im Haus, das eigenständig neue Produkte bauen kann. Die In-House-Entwicklerkompetenz hilft uns besser zu reagieren und schneller auf Kundenbedürfnisse einzugehen.
Wie schon gesagt, arbeiten wir stetig daran, für die jüngere Generation attraktiv zu bleiben. Nur ein gutes Gehalt reicht hier schon lange nicht aus. Mindestens genauso wichtig sind eine sinnvolle Tätigkeit, moderne Technologien und ein Umfeld, das auf die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen eingeht.
Welche Anforderungen und Erwartungen haben Sie an IT-Dienstleister und Anbieter?
Es gibt zwei wichtige Kriterien, die sich bei uns bewährt haben: die technologischen Anforderungen und die Erwartungen an die Soft Skills. Die technologischen Anforderungen ergeben sich sehr stark aus einer immer komplexer werdenden Systemlandschaft. Hier ist es wichtig, dass Systeme und Produkte keine „Insellösungen“ sind, sondern sich über Schnittstellen sinnvoll in eine bestehende Infrastruktur einbinden lassen. Open Source ist hier natürlich ein zentrales Thema, weil es im Regelfall ein guter Indikator für Offenheit und Transparenz ist.
Bei den Soft Skills achten wir auf ein agiles Mindset – gepaart mit dem, was wir „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“ nennen. Auf gleicher Augenhöhe heißt für uns, dass wir gezielt Beraterinnen und Berater auswählen, die unser „Geschäft“ verstehen und die Expertise mitbringen, wie man externe Best Practices auf unser Unternehmen anwenden kann. Ein agiles Mindset – also die Fähigkeit auf Veränderung reagieren zu können – sehen wir da immer gekoppelt mit klassischen Werten wie Zuverlässigkeit, Qualität und Vertrauen.