„Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden!“ lautet eine Binsenweisheit des Digitalen Wandels. Für Verbrechen gilt das natürlich auch, von Mord bis Betrug scheint alles möglich. Doch die kriminalistische Wissenschaft hingt der Realität des Internet hinterher. Es gilt Methoden zu entwickeln, die den neuen Gegebenheiten angemessen sind … über Landesgrenzen hinaus meint Thomas-Gabriel Rüdiger, der als Akademischer Rat im Bereich Cyberkriminologie am Institut für Polizeiwissenschaft in Oranienburg/Brandenburg forscht.
Auf dem Confare CIO SUMMIT am 2. und 3. September in Wien geht es in zahlreichen Vorträgen darum, wie Unternehmen erfolgreich mit Cyberkriminalität umgehen können. Aber wie weit ist die Kriminologie? Welche Methoden verwendet die Polizei? Und wie können wir unsere Kinder schützen? Wir danken Thomas-Gabriel Rüdiger für das spannende Interview.
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Sie sind studierter Kriminologe – wie weit ist denn die Digitalisierung der Kriminologie schon fortgeschritten?
Für die deutschsprachige Wissenschaft muss man sagen, dass die Kriminologie tatsächlich erst ganz am Anfang dabei steht die Besonderheiten von Kriminalität im Kontext mit dem digitalen Raum tatsächlich aufzugreifen und in ihre Erkenntnisse einfließen zu lassen. Teilweise herrschte und herrscht bis heute der Gedanke vor, dass dies letztlich dieselbe Kriminalität wie im physischen Raum sei und daher können auch die bisherigen Konzepte und Theorien unangepasst genutzt werden. Das halte ich aber für nicht korrekt, da dies tatsächlich die Besonderheiten des digitalen Raumes ausklammert. Beispielsweise die Globalität ohne erkennbare physische Grenzen, eine Art Kriminalitätstransparenz – erkennbar u.a. an täglichen PhishingEmails im Spam Ordner – und die weitestgehende Abstinenz der wahrnehmbaren Polizeipräsenz im digitalen Raum. Es gäbe noch viel mehr Aspekte aufzuzählen, zeigt aber bereits jetzt, dass auch die Kriminologie sich diesem Raum anpassen muss.
Prof. Saskia Bayerl und ich veröffentlichen daher im Mai im Springer Verlag einen umfangreichen Sammelband zur Cyberkriminologie und wir hoffen, dass wir damit dabei helfen die Cyberkriminologie als eigene wissenschaftliche Disziplin im deutschsprachigen zu etablieren.
Mit welcher Art von Verbrechen haben Sie es denn online zu tun?
Zunächst gibt es eigentlich keine Kriminalitätsform aus dem physischen Raum, die nicht auch mit einer digitalen Begehung denkbar wäre. Durch den stetigen Einsatz von Smartfunktionen und allgemein Internet of Things sind hier fast alle Konstellationen denkbar. Beispielsweise auch Tötungshandlungen, wenn Herzschrittmacher oder Ähnliches mit dem Netz verbunden werden sollten und durch digitale Angriffe mit Absicht ausgeschaltet werden würden. Ähnlich muss man auch Fälle einstufen, wenn Ransomware beispielsweise Krankenhäuser lahmlegen und deswegen als Resultat das Spenderorgan nicht rechtzeitig zugewiesen werden kann und jemand verstirbt. Hier ist viel denkbar. Dann gibt es die klassischen sog. Cybercrime im engeren Sinne Delikte, wie der Einsatz von DDoS Angriffen, Computerbetrug und Ähnliches.
Mein persönliches Forschungsinteresse liegt aber weniger auf dieser technischen Seite, als vielmehr auf Kriminalitätsformen, die aus der Interaktion der Menschen untereinander in diesem digitalen Raum entstehen (sog. Cybercrime im weiteren Sinne). Die Ursachen für deren Entstehung und allgemein der digitalen Polizeiarbeit. Ein Schwerpunkt hierbei sind digitale Risiken für Kinder, vor allem Cybergrooming. Darunter versteht man wiederum die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes, was tatsächlich und leider ein absolutes Massenphänomen ist. Aber auch Phänomene wie Sextortion, Romancescaming oder auch das unerwünschte Zusenden und Verbreiten pornografischer Medien (sog. Dickpics) was in Deutschland strafbar ist. Digitale Hasskriminalität beschäftigt mich ebenfalls sehr.
Wie sieht denn der kriminologische Methodenfundus im Bereich Cybercrime aus? Wie weit ist man beim Thema Cyberkriminologie tatsächlich?
Tatsächlich gibt es da noch nicht viel. Neben klassischen Umfragen, Experimenten – man denke an Honey Pots Server – und auch Analysen von Gerichtsakten bietet sich aus meiner Sicht für das Netz aber eine ganz besondere Methodik an. Die Beobachtung – vor allem auch in Form der sog. teilnehmenden Beobachtung. Denn wann hatte ein Wissenschaftler bisher schon die Möglichkeit faktisch aus dem Büro in dieser Form sein Untersuchungsfeld zu beobachten und zu analysieren? Die teilnehmende Beobachtung ist dann auch noch dadurch gekennzeichnet, dass man Teil des Untersuchungsfeldes wird, wenn ich also Kriminalität in Onlinespielen erforsche und dazu selbst einen Account erschaffe und mitspiele. Diese Form der Methodik müssen wir erst noch spezifisch anpassen, aber sie bietet wirklich neue spannende Ansätze für die Cyberkriminologie.
Was können den regionale Polizeimaßnahmen der internationalen Cyberkriminalität entgegenhalten?
Für mich gibt es zunächst eine Grundüberlegung. Faktisch bräuchte ein digitaler Raum ohne physische Grenzen auch eine Diskussion über eine Art global gültiges digitales Strafrecht und eine Art digitale Polizei. Das ist aber gegenwärtig völlig utopisch. Entsprechend gering ist auch der Einfluss regionaler Polizeien auf die Bekämpfung. Die sind entsprechend auch kaum präsent. Nur zum Vergleich in Deutschland war nach einer Studie Ende 2017 nicht einmal 1 % des Personals der Sicherheitsbehörden für Netzthemen zuständig für einen globalen digitalen Raum.
Als nächste Ebene könnte man über gemeinsame Harmonisierungen im deutschsprachigen digitalen Raum nachdenken, da sich im Netz vermutlich so eine Art Sprachengrenze finden lässt. Die Polizei müsste aus meiner Sicht hier sichtbare Präsenz zeigen, die Strafverfolgungswahrscheinlichkeit erhöhen und gleichzeitig Präventionsmaßnahmen durchführen. Die Polizeipräsenz wird in Ansätzen durch polizeiliche Social Media Accounts realisiert, was hier noch fehlt sind tatsächlich virtuelle Polizeistreifen, wie wir sie aus dem Straßenverkehr kennen. Die Auseinandersetzung mit solchen Konzepten steht aber erst ganz am Anfang.
Am Ende geht aber nichts an der Prävention vorbei in dem man die Menschen, vor allem auch Eltern, immer wieder für solche Delikte sensibilisiert werden und auf die Risiken dieses Raumes vorbereitet werden.
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Was sind aus Ihrer Sicht die 5 wichtigsten Trends wenn es um Cybercrime geht?
Ich denke zunächst, dass Ransomware Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und den Mittelstand weiter zu nehmen werden. Ein anderer Aspekt sind Angriffe im Zusammenhang mit Internet of Things, einfach durch die allgegenwärtige Implementierung von Smartfunktionen. Digitale Sexualdelikte vor allem gegen Kinder aber auch gegen Frauen sowie digitale Hasskriminalität werden vermutlich weiter zunehmen, ebenfalls werden wir die Verwendung von Deepfakes für kriminogene Handlungen erleben.
Ein abschließender Aspekt ist mir auch noch wichtig, wir werden vermutlich immer häufiger minderjährige Tatverdächtige bei digitalen Delikten erleben. Ein Trend den wir jetzt schon an Schulen nachvollziehen können. Schlicht weil Kinder immer früher auch Smartphones bekommen ohne, dass sie auf die Regeln dieses Raumes hinreichend vorbereitet werden.