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Von der Geschichte für eine nachhaltige Zukunft lernen: Annette Kehnel: Wir konnten auch anders!

by Yara El-Sabagh

Exclusive im #ConfareBlog mit Annette Kehnel: Wir konnten auch anders!
Von der Geschichte für eine nachhaltige Zukunft lernen

Was nur wenige wissen: Confare Gesellschafterin Barbara Klinka-Ghezzo ist studierte Historikerin. In einer Radiosendung wurde Barbara vor ein paar Monaten auf ein neues Buch aufmerksam gemacht. „Wir konnten auch anders“ Im Radiointerview erzählte Autorin Prof. Annette Kehnel, die einen Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mannheim innehat, warum ein Blick in die Vergangenheit lohnt, wenn man die Probleme unserer Zeit lösen möchte.

Barbara war begeistert und wusste sofort: Das wollen wir auch unserer CIO- und Digital-Community näher bringen. Sofort haben wir Kontakt mit dem Verlag aufgenommen.

Wir freuen uns sehr darüber, dass Annette Kehnel sehr schnell von der Idee begeistert war, auf dem wichtigsten IT-Management Treffpunkt Österreichs aufzutreten und unseren Teilnehmern eine Perspektive über den historischen und thematischen Tellerrand hinaus zu ermöglichen.

Mehr als 500 IT-Entscheider aus den Top-Firmen im DACH Raum haben sich bereits angemeldet. Haben Sie bereits Ihr Ticket? Hier geht’s zur Anmeldung: www.ciosummit.at

Falls Sie sich vorher einlesen möchten gibt es hier Annette Kehnel: Wir konnten auch anders als e-Book oder Printausgabe: Annette Kehnel: Wir konnten auch anders – Buch – Blessing Verlag (penguinrandomhouse.de) Das Buch ist ein Spiegel-Bestseller, mehrfach ausgezeichnet und eine fesselnde Lektüre.

Das Thema Nachhaltigkeit aus CIO-Perspektive gibt es in Vorträgen und in exklusiven Workshops auf dem Confare #CIOSUMMIT.

Wir konnten auch anders!Sich gerade das finstere Mittelalter als Vorbild beim Lösen der Probleme unserer Zeit zu wählen – ist das wirklich so naheliegend?

Nein, natürlich nicht. Und bitte lassen sie mich eines vorweg klarstellen: Wer zurück ins Mittelalter will, kann das gerne tun, aber ohne mich. Fortschritt hat Vorteile. Und die Gegenwart auch. Das vergessen wir leider viel zu oft. Von A wie Alleskleber bis Z wie Zahnmedizin – wir nehmen das alles so selbstverständlich, was uns Wissenschaft und Fortschritt in den letzten 200 Jahren beschert haben.

Also, kein Zurück ins Mittelalter. Und kein Mittelalter als Vorbild zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts.

Mein Buch heißt „Wir konnten auch anders“. Mir geht es um den Abschied vom Mythos der Alternativlosigkeit. T I N A „There Is Non Alternative“ – das war Jahrzehnte lang das Mantra nicht nur an den Aktienmärkten. Es geht nun mal nicht anders! Wir haben uns damit in einen grandiosen Innovationsstau manövriert. Das Festhalten an alten, vermeintlich bewährten Technologien, der Verbrenner ist dafür das beste Beispiel. Hätten wir vor 50 Jahren angefangen in den Elektromotor zu investieren, wäre unsere CO2 Bilanz heute eine ganz andere. Doch Gott sei Dank geht so langsam der Trend Richtung T A R A „There Are Reasonable Alternatives“. Es gibt Alternativen. Menschen sind ganz hervorragende Transformationskünstler. Und genau das zeigt der Blick in die Vergangenheit. Geschichte schult den Möglichkeitssinn.

Was fasziniert Sie gerade an der Epoche des Mittelalters am meisten?

Wir finden in dieser Epoche Gesellschaften, deren Wirtschaftssysteme nicht in erster Linie auf Wachstum ausgelegt waren. Natürlich wollte man auch damals Profite machen, aber Habgier und Geiz waren verpönt. Ja, sie galten als unliebsame Begleiterscheinungen des Alters. Während im Mittelalter Gier noch als eine Todsünde galt, wurde sie im späten 20. Jahrhundert zur obersten Tugend. Gordon Gekko, alias Michael Douglas, in dem Film Wall Street aus dem Jahr 1987 bringt es auf den Punkt „Greed, for the lack of a better word, is good.“ Gier wurde zum Motor der Wirtschaft, zu einer Art Bürgerpflicht, denn ohne Gier keine Erhöhung der Nachfrage, kein Wachstum der Märkte, kein Wohlstand.

Mich faszinieren Gesellschaften, die andere Formen des Wirtschaftens gefunden haben. Das Mittelalter ist dafür ein Beispiel.

Inwieweit waren denn vergangene Generationen überhaupt mit Fragen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes konfrontiert?

Die Begriffe gab es damals noch nicht. Das heißt aber nicht, dass es das Bewusstsein für den schonenden Umgang mit Ressourcen noch nicht gab. Für die Menschen damals war Nachhaltigkeit und Umweltschutz kein „nice to have“, es war die einzige Überlebensstrategie. Die Fischer am Bodensee zum Beispiel haben es geschafft, die Gemeinschaftsressource See über Jahrhunderte hinweg nachhaltig zu bewirtschaften. Dabei war Überfischung durchaus eine Gefahr. Denn damals wie heute hatte ein einzelner Fischer natürlich höhere Einnahmen, je mehr Fische er rausholte. Wie also ist es gelungen die Tragödie der Allmende zu vermeiden? Das Geheimnis war Kommunikation. Es gab regelmäßige Absprachen in der Nutzergemeinschaft. Man traf sich mindestens einmal im Jahr auf so genannten Fischertagen und je nach der Lage im See – Fischbestände, Klima, Nachfrage etc. – wurden die Fischerordnungen aktualisiert. Gab es wenig Bodenseefelchen, dann hat man die Maschengröße der Netze erweitert, so dass mehr Jungfische durchs Netz gingen und zum Laichen kamen. D.h. man hat auf kurzfristige Gewinne verzichtet zu Gunsten langfristiger Nutzbarkeit der Ressource. Heute nennt man das Externalitäten internalisieren.

Welche Überlebensstrategien aus der vorindustriellen Menschheitsgeschichte würden sich heute aus Ihrer Sicht als besonders nützlich erweisen?

Generatives Handeln. Die Fähigkeit über die Nasenspitze der eigenen Generation hinaus zu denken. Wir haben das letzte halbe Jahrhundert in extremer Kurzsichtigkeit gelebt, Quartalszahlenfixierung, eine “hic et nunc” Perspektive, nach dem Prinzip „Vor mir die Steinzeit, nach mir die Sintflut“. Im Mittelalter war das anders. Die Fähigkeit zum übergenerationellen Denken wurde ständig geschult. Das mag jetzt seltsam klingen, aber man betetet ja ständig für die Verstorbenen. D.h. man lebte im Bewusstsein Teil einer Gemeinschaft der Lebenden und der Toten zu sein. Und mit der Erinnerung an die eigene Sterblichkeit wurde die Verantwortung für die künftigen Generationen geschult. Denn die würden ja später – nach meinem Tod – für mich beten. Außerdem gab es die Hoffnung auf das Jüngste Gericht. Die Vorstellung, dass schlussendlich jeder grad stehen muss für die Konsequenzen seines Tuns. Und zwar persönlich! Diese mittelalterliche Vorstellung eines göttlichen Weltgerichts find ich sehr sympathisch. Die Hoffnung, dass es am Ende dann doch gerecht zugeht. Das war im Grunde nichts anderes als die radikale Umsetzung des Verursachungsprinzips: Wer Schaden verursacht, muss dafür zahlen. Ich denke, damit könnten wir heute schon sehr viel ausrichten. Und da befinden wir uns ja auf einem guten Weg mit der CO2 Bepreisung, und der Berechnungen der gesamtwirtschaftlichen Belastungen, die durch Umweltkosten entstehen.

Was waren die größten Überraschungen, auf die Sie im Zuge Ihrer Recherche gestoßen sind?

Wieviel die Wissenschaft eigentlich schon längst weiß und wie wenig davon gesellschaftlich umgesetzt wurde.

Welche Lehren der Vergangenheit würden Sie IT- und Digitalisierungs-Managern gerne mitgeben?

Sie sind ja maßgebliche Treiber der Transformation Richtung Zukunft. Und Experten für Disaster Recovery. Plan B ist immer gut. Das lehrt uns die Geschichte. Aber genau genommen möchte ich gar keine Lehren aus der Vergangenheit erteilen, als vielmehr meine Hoffnung auf Zukunft zum Ausdruck bringen. Und meine Hochachtung für die Kreativität dieser Branche!

Was sind die überraschendsten Reaktionen auf Ihr Buch?

Zum einen hat mich der Erfolg echt überrumpelt. Gleich den NDR Sachbuchpreis. Das war eine totale Überraschung allzumal es große Konkurrenz gab. Topfavorit war der Bericht über die Arktisexpedition des Forschungsschiffs Polarstern, der im gleichen Jahr erschien. Dass mein Buch das Rennen macht, damit hab ich nicht gerechnet. Zwar verkauft sich Mittelalter auch ganz gut, aber in der Regel nur dann, wenn sie die drei großen Ks bedienen: Kaiser, Kreuzzüge oder Ketzer. Die Pest verkauft sich auch gut und Ritter natürlich. Keines dieser Themen spreche ich an in meinem Buch. Vielmehr geht es mir darum, die Anliegen der jungen Generation, der Generation meiner Studierenden ernst zu nehmen. Und da tut es gut, zu sehen, wie Menschen, die vor uns lebten, die Herausforderungen ihrer Zeit meisterten.

Und das zweite: Bei den Lesungen, Vorträgen und Keynotes im vergangenen Jahr habe ich gelernt, wie groß die Nachfrage nach Umdenken ist. Und zwar in den verschiedensten Bereichen, ich wurde nicht nur von Bürgerbibliotheken, Energiegenossenschaften oder SoLaWis eingeladen, sondern auch von Industrieunternehmen, Architektenverbänden, Bundesverband Materialwirtschaft usw. – überall spürt man den Willen zur Veränderung. Ich kann hier beitragen mit einem unzweifelhaften Befund aus der historischen Forschung: Menschen können Veränderung!

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