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Tobias Schmitz, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Zwischen gesetzlichen Pflichten und Digitalisierung: IT-Wachstumskrise in der öffentlichen Verwaltung
Tobias Schmitz, Head of IT and Digitalization des Spitzenverbands DGUV, war einer der Panel-Diskutanten bei einem hochkarätig besetzten Podiums-Gespräch im Rahmen des Confare #CIOSUMMIT Frankfurt. Im Bloginterview spricht Tobias offen über die aktuellen Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung in der gesetzlichen Unfallversicherung. Zwischen gesetzlichen Pflichtprojekten, neuen Technologien wie KI und Cloud sowie veränderten Arbeitsweisen sind Priorisierungen und innovative Denkansätze gefragt. Im Interview beleuchtet er, wie die gesetzliche Unfallversicherung auf diese Entwicklungen reagiert und welche Rolle die IT dabei spielt.
Vor welchen Herausforderungen und Veränderungen steht die gesetzliche Unfallversicherung und welche Rolle spielen IT und Digitalisierung dabei?
Als Dachverband zuständig für über 30 Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in unterschiedlicher Größe, sind die Herausforderung für uns als Spitzenverband vielfältig. Einerseits haben wir in der UV in der Vergangenheit bereits früh gute digitale Lösungen geschaffen. Schon lange haben wir die wichtigsten Datenaustauschverfahren mit Leistungserbringern im Gesundheitswesen und mit anderen Trägern der Sozialversicherung auf Basis strukturierter Daten digitalisiert. Auch an Lösungen der Gematik wie KIM sind wir angeschlossen. Unsere UV-Träger betreiben schon lange Portale für ihre Kunden und haben die Backendprozesse dahinter voll digital umgesetzt.
Dennoch haben wir eine Menge an gesetzlichen digitalen Pflichtprojekten zu erledigen, bei denen wir mitbedacht werden – auch wenn die Lösungen teils nur bedingt zu unserer sehr speziellen Fachlichkeit passen. So kommen wir insbesondere als DGUV ständig in Priorisierungsfragen zwischen Zwängen und Themen, die uns nach eigener Auffassung voranbringen.
Wie verändert sich der Anspruch an die IT in der öffentlichen Verwaltung?
Der Anspruch an IT in der ÖV ist zu Recht groß. Spät wurde der Nutzen von Digitalisierung erkannt. Das führt dazu, dass viele Beteiligte sich um das Thema kümmern und schnell QuickWins produzieren oder LowHangingFruits sammeln wollen. Das ist ein guter Anfang, aber eben auch nicht mehr.
Oft führt das zu Durcheinander: Lösungen sind nicht zu Ende gedacht oder funktionieren nicht übergreifend, Stakeholder – insbesondere die Kunden – werden nicht mitgenommen. Das liegt auch daran, dass immer noch mit Technik auf bestehende analoge Prozesse geworfen wird oder das gleiche Problem in mehreren parallelen Projekten gelöst wird. In Summe wird sehr viel bewegt, aber der Output muss noch gesteigert werden. Die IT der ÖV erlebt eine Wachstumskrise.
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Was ist für die Zusammenarbeit von Management, Fachbereichen und IT wichtig?
Wir brauchen weniger Silo-Denken, denn Digitalisierung ist eine gemeinsame Aufgabe. Das berühmte Beamtenprinzip „zuerst mal Zuständigkeit prüfen“ funktioniert nicht mehr. Auch in der ÖV muss unternehmerisch gedacht werden. Viele verwechseln das mit gewinnorientiert, aber darum geht es mir nicht. Es geht darum, Themen aus der Kundensicht zu denken, denn nur dann ist das Unternehmen (die Verwaltung / Behörde) erfolgreich.
Das funktioniert nur fachbereichsübergreifend und gemeinsam. Dabei muss man auch anerkennen, dass Arbeit sich verändert. Ich kann Verwaltung nicht mehr so organisieren, wie vor 10 Jahren. Das führt dazu, dass Verwaltungsmitarbeitende mehr und mehr auch Aufgaben bekommen, die man vor vielen Jahren noch in IT angesiedelt hätte.
Die freie Wirtschaft erlebt gerade die Demokratisierung der IT, d.h. die Business Unit Leader sind Ende-zu-Ende verantwortlich für die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse, inkl. der dafür notwendigen Software. Das geht noch einen Schritt weiter, denn Gartner spricht sogar vom Ende der Central-IT. Dafür braucht es aber eine sehr ausgereifte Governance, gute Prozesse und eine enorm hohe Professionalität aller Beteiligten. In der ÖV müssen wir deswegen weiter an den digitalen Skills der Beschäftigten arbeiten.
Wie sehr ist die Cloud ein wichtiger Faktor bei dieser Veränderung?
Die Cloud ist ein wichtiger Baustein. Zu lange im Public Sektor vernachlässigt und aufgrund von Unwissenheit noch immer oft kritisch gesehen. Ohne Cloud geht es nicht, wir müssen aufhören über das Ob zu diskutieren und ins Machen kommen. Vieles wird in naher Zukunft bzw. bereits jetzt schon nicht mehr ohne Cloud funktionieren. Wir in der Sozialversicherung versuchen mit Aufklärung und in dem wir das Thema setzen, Vorbehalte aufzulösen und die Beteiligten mitzunehmen.
Ich erwische mich selbst aber immer öfter, wie ich versuche den Begriff Cloud zu vermeiden, denn er löst bei manchen Beteiligten Reize bei Themen aus, die wir schon lange so machen. Wir schreiben schon lange Software und Betrieb für Speziallösungen aus einer Hand aus, eben SaaS. Das hat nie jemand hinterfragt, wenn man aber Cloud drauf schreibt, bekommt man plötzlich Fragen, die vorher keiner gestellt hat. Wie immer gilt aber, dass Cloud ein Teil der Lösung ist und nicht ein Allheilmittel all unserer Probleme. Es geht nicht um Cloud ODER On-Prem, sondern um Cloud UND On-Prem.
Welche Potenziale siehst Du in Bezug auf Automatisierung und AI?
AI ist die bisher große Veränderung unserer Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Lange hat technologische Entwicklung meist nicht am Rechner arbeitende Menschen betroffen. Seit der Automatisierung betrifft es auch PC-Arbeitsplätze, vor allem das operative Massengeschäft. Das führte dazu, dass die Anzahl der „Wasserköpfe“, also die nicht am operativen Geschäft Beteiligten im Verhältnis immer größer wurden. Seit KI ist das anders und das wird sich auch so weiterentwickeln.
Es sind nun alle Berufsgruppen betroffen, selbst diejenigen, die Automatisierung und KI bauen: die IT. Aufgrund des Fachkräftemangels und der demographischen Entwicklung möchte ich aber nicht mehr von „Betroffenheit“ sprechen. Ging es in der Vergangenheit bei der Automatisierung oft um Stellenabbau und Kosteneinsparungen, haben wir jetzt das gegenteilige Problem. Wir werden die vorhandenen Stellen der ÖV nicht mehr alle nachbesetzen können und brauchen diese Unterstützung. Da kommt die KI wie gerufen und wir müssen als ÖV weniger (nicht „gar nicht“, sondern weniger) über Risiken und Regulierung debattieren und stattessen die sich daraus ergebenen Chancen nutzen.
Wie verändert Digitalisierung die Kultur einer Sozialversicherung? Was bedeutet das für den Kundenbegriff in der IT und im Unternehmen?
Der Begriff des Kunden ist ein feststehender Begriff in der Digitalisierung. Er beschreibt zusammenfassend die Personengruppe, die von unseren Leistungen profitiert. Von ihm / ihr ausgehend müssen alle Prozesse gedacht und designed werden.
Ich erlebe es noch immer, dass der Kundenbegriff in der ÖV vermieden wird oder die m.E. fälschliche Annahme besteht, dass die Sachbearbeitung die Kundin der IT ist. Aus meiner Sicht sind Bürger, Versicherte, Betriebe, Antragssteller usw. die gemeinsamen Kunden von Fachbereichen und Digitalisierern und sollten im Zentrum der Überlegungen stehen – im Zweifel auch zuständigkeits- / behördenübergreifend.
Wie geht man als CIO mit den unterschiedlichen Interessen und Anforderungen der Stakeholder um?
Kommunikation, Vermittlung, zusammenbringen, Brücken bauen, priorisieren, hinterfragen und unternehmerische Entscheidungen treffen. Das sind doch die Hauptaufgaben eines jeden CIO. Oder beschäftigt sich noch jemand mit Technik?
Warum ist der Austausch und das Networking auf dem Confare CIOSUMMIT Frankfurt so wichtig?
Wir haben alle ähnliche Probleme, mancher hat sie schon gelöst und nicht jeder muss das Rad neu erfinden…
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