Von Marco Kellermann – Der Autor ist Director Global IT, FFG Europe & Americas – persönlich treffen Sie Marco Kellermann und zahlreiche weitere Top IT-Manager beim 8. Confare Swiss CIO & IT-Manager Summit 2019 in Zürich.
Simplifizierung wird oft als Schlüssel verstanden, um ein System effizienter zu machen. Und tatsächlich bedeutet es eine sehr effektive Herangehensweise, egal ob dies Produktions-, oder Kommunikationsstrukturen oder sogar ganze Unternehmen betrifft. Aber gerade weil sie so effektiv ist, bedeutet sie auch ein hohes Risiko, wenn sie falsch angewendet wird. Sie kann dann zu massiver Ineffizienz in den gemanagten Systemen führen.
Um eine produktive Simplifizierung durchzuführen, braucht es vor allem das Bewusstsein dafür, was Komplexität im systemischen Sinne ist. Zudem braucht es die Bereitschaft, sich so tiefgehend mit dem zu bearbeitenden System zu beschäftigen, dass man komplexe und komplizierte Anteile darin voneinander unterscheiden kann.
Komplexität und Kompliziertheit
Einige Systeme müssen sehr komplex sein, um effizient arbeiten zu können. Komplexität selbst ist kein Fehler, aber Kompliziertheit ist es immer. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt für einen richtigen Simplifizierungsansatz und kann mit zwei Sätzen vollständig dargestellt werden:
Die Reduktion von Kompliziertheit durch Simplifizierung führt zu mehr Effizienz.
Die Reduktion von Komplexität durch Simplifizierung führt zu mehr Kompliziertheit.
Um zu verstehen, was das bedeutet, muss erkannt werden, dass es für Kompliziertheit zwei Definitionen gibt, eine subjektive und eine objektive. Und nur die objektive ist die systemisch anwendbare und kann für eine produktive Simplifizierung genutzt werden.
Subjektive Kompliziertheit
Die subjektive Definition der Kompliziertheit eines Systems sagt im Kern aus, dass die Reaktion eines komplizierten Systems nicht verständlich ist. Und die Wahrscheinlichkeit einer solchen unverständlichen Reaktion steigt stark mit zunehmender Komplexität.
Das Problem an dieser Definition ist die übliche, aber falsche Schlussfolgerung: Komplexität sei das Gleiche wie Kompliziertheit.
Die subjektive Definition von Kompliziertheit trägt nicht dazu bei, Systeme effizienter zu machen, weil dafür Komplexität als etwas, das notwendig sein kann und Kompliziertheit als etwas, das grundsätzlich vermieden werden soll, klar unterschieden werden muss.
Das falsche Verständnis von Komplexität kann dazu führen, dass funktional benötigte Systemteile entfernt werden. Die übliche Reaktion des bearbeiteten Systems in einem solchen Fall, ist eine Ersetzung des verlorenen funktionalen Teils durch einen Workaround. Da diese Reaktionen unstrukturiert geschehen, sind sie nicht standardisiert und nicht funktional integriert. Das Ergebnis einer solch falsch durchgeführten Simplifizierung ist daher eine Zunahme der Kompliziertheit, die eigentlich reduziert werden soll.
Objektive Kompliziertheit
Um diesen Effekt zu vermeiden, muss sich die Definition auf die objektive Perspektive konzentrieren. Nur dann ist sie für das Management des Systems produktiv nutzbar.
Bei dieser systemischen Form der Definition ist nur der Teil der Komplexität gemeint, der für die Funktionalität des Systems nicht benötigt wird oder dessen Effizienz negativ beeinflusst. Diese andere Perspektive gibt der Komplexität eine qualitative Klassifizierung hinsichtlich ihres funktionalen Nutzens im System. Am Ende teilt es komplexe Strukturen ein, in den nicht gemeinten Teil, die Komplexität und den hiermit definierten Teil, die Kompliziertheit.
Um dies in eine praktisch leichter anwendbare Beschreibung für das Management von Systemen zu übertragen:
Komplexität wird zur Kompliziertheit, wenn sie
– mehr Funktionen hat, als das System haben muss,
– mehr Prozesse durchführt, als ihre Funktionen benötigen
– mehr Aktionsmöglichkeiten besitzt, als die Prozesse verarbeiten können.
Dies ermöglicht es, den Simplifizierungsansatz ohne das Risiko der Zerstörung systemisch notwendiger Komplexität und mit der Fokussierung auf den reduzierbaren Teil des Systems anzuwenden. So kann die Simplifizierung genau dort genutzt werden, wo sie dazu beiträgt, das System effizienter zu machen und kann jegliches Risiko für seine Vitalität vermeiden.
Simplifizierung hilft nicht, um eine Abkürzung zu finden
Vereinfachung ist eine innere Einstellung, eine Denkweise.
Ohne sie kann man kein guter Manager sein.
Aber mit ihr kann man ein schlechter Manager sein.
Häufig wird Simplifizierung angewendet, um zu vermeiden, dass man sich wirklich mit Themen befassen muss, also um eine Abkürzung zum Effizienzerfolg zu finden. Für einige (und ich meine für zu viele) Manager scheint Simplifizierung eine Zauberformel zu sein, welche die Dinge leichter laufen lässt. “Wie kann das so kompliziert sein, am Ende ist es doch nur ein …” ist ein oft gehörter Satz.
Dies ist der Punkt, an dem die Komplexität der Kompliziertheit entspricht und die scheinbare Abkürzung zu einem nicht bewältigbaren Umweg wird.
Bei dieser falschen Art der Simplifizierung wird es mit jeder Aktion schwieriger, das betroffene System zu managen. Am Ende gibt es nur noch Kompliziertheit und das Management ist dann ein Teil davon.
Wenn Simplifizierung als ein Weg verstanden wird, die Funktionalität eines Systems zu verstehen, um ihm zu helfen, den Ballast nutzloser Teile loszuwerden, seinen produktiven Kern von einer einschränkenden Hülle zu befreien, kann sie für ein sehr erfolgreiches Management verwendet werden.
Es handelt sich dann um einen systemorientierten Ansatz, der auf der Frage basiert: Gehört ein bestimmter Teil des Systems zu seiner schädlichen Kompliziertheit oder zu seiner vitalen Komplexität?
Wenn es richtig gemacht wird, benötigt es Zeit und Disziplin, um das systemische Verständnis und damit die Beherrschbarkeit des gemanageten Systems zu erlangen. Aber nachdem dieser Zustand erreicht ist, verbessert sich das System mit jeder durchgeführten Simplifizierung und benötigt immer weniger Zeit für das Management, auch wenn das System komplex bleibt.