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Bildungspolitik vom Wohnzimmer aus – DigiFö vs. Digitalen Analphabetismus für Bildungsgerechtigkeit an Wiener Schulen

by Yara El-Sabagh

Exclusive im #ConfareBlog: Bildungspolitik vom Wohnzimmer aus

Etwa 50 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und 550 weitere Kinder sind bis heute im DigiFö-Computerförderkurs gewesen. Etwa 300 Schüler kommen pro Schuljahr dazu. Die erfahrene Pädagogin Ludmila Schindler agiert bewusst weitgehend unabhängig von der Bürokratie des Wiener Bildungswesens. Ludmila nennt es „Bildungspolitik vom Wohnzimmer aus“.

Im dritten Teil unseres Bloginterviews teilt sie mit uns die Hintergründe ihrer Initiative DigiFö und spricht über das Risiko des Digitalen Analphabetismus.  

Hier finden Sie Teil 1 des Interviews: JETZT LESEN

Hier finden Sie Teil 2 des Interviews: JETZT LESEN

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Welchen Beitrag leistet DigiFö konkret?

Das Konzept der von DigiFö entstand aufgrund meiner Beobachtung von Schüler:innen an Volks- und Mittelschulen.

Es beinhaltet eine Förderung im digitalen Bereich unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Kindes in einem geschützten Rahmen, bei dem auf die Stärken und Schwächen eingegangen wird.

Viele Schüler:innen weisen im Lesen und Schreiben große Defizite auf, die mit zunehmendem Alter immer schwerer nachzuholen sind.

Damit nicht in ein paar Jahren auch „digitale Analphabeten“ an Schulen heranwachsen, müssen den Kindern so früh wie möglich die Möglichkeiten der digitalen Welt, Schritt für Schritt beigebracht werden. Wenn sie den richtigen Umgang mit digitalen Geräten erlernen, werden sie ihre neu erworbenen digitalen Fähigkeiten nicht nur in der nächsten Schule, sondern auch zuhause klug einsetzen. Je mehr sie darüber erfahren, umso besser sind sie auf die berufliche Zukunft vorbereitet.

Das was in den DigiFö-Kursen passiert, wird von mir seit zwei Jahren in den sozialen Medien präsentiert. Zum einen um diese Initiative gerade in Krisenzeiten am Leben zu halten, zum anderen, um auch positive Öffentlichkeitsarbeit für die Schulen zu machen. Die Arbeit der Pädagog:innen wird in den Medien nicht wirklich sichtbar dargestellt. Und schon gar nicht die hervorragende Arbeit mit digitalen Medien. Da überraschten mich die Volksschulen, die im Gegensatz zu Mittelschulen oder Gymnasien keine Computerräume haben und noch wenig Erfahrung mit digitalen Unterricht. Was da an Professionalität zu sehen ist, ist unglaublich. Da fragt man sich, wie konnte man so lange dieses Potenzial vernachlässigen? Nicht nur die Volksschullehrer:innen überzeugten bei der Umsetzung des DigiFö-Kurses an ihren Schulstandorten, sondern die unbeschwerte, neugierige und effiziente Herangehensweise der Kinder ab dem 8. Lebensjahr an die Arbeit mit Laptops, I-Pads, Notebooks und Tablets beweist, wie wichtig die Förderung der heutigen Schüler:innengeneration im digitalen Bereich ist.

Mit der „Digitalen Förderinitiative, DigiFö“ verfolge ich als Pädagogin folgende Ziele:

1. Gleiche Bildungschancen für ALLE Kinder!

Es ist ein bildungspolitischer Auftrag.

In meinem ersten Pilotprojekt saßen auch SchülerInnen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf, kurz SPF und Diagnosen wie ADHS und Lernbehinderung oder Autismus Spektrum. Ein Mädchen mit einem spastischen Arm seit der Geburt, ein Mädchen nach mehreren Hauttransplantationen, ein Bub nach einer Hüftoperation und einer Gehirnblutung im Kleinkindalter und ein sogenanntes „Schmetterlingskind“. Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder mit nicht deutscher Muttersprache. Gemeinsam mit österreichischen Kindern.

Alle diese Kinder haben ihre Schwächen in einem oder mehreren Lerngegenständen und werden in diesen nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule unterrichtet.

Diese Kinder zeigten im Schulalltag eine unglaublich positive Ausstrahlung, die mich beeindruckte. Sie kennen das Leben bereits von einer herausfordernden Seite und können sich – noch – über die kleinsten Dinge des Lebens freuen. Was gerade in Zeiten wie diesen die beste Voraussetzung für die Entwicklung einer Resilienzfähigkeit ist. Doch sie erleben sich als Schüler:innen zweiter Klasse. Und das schon seit Jahren. Auch in Integrationsklassen. Leider sind noch immer zu wenige Lehrer:innen auf die Arbeit auch mit solchen Kindern vorbereitet. Inklusive Pädagogik scheint in der jetzigen Ausbildung nicht ausreichend Platz gefunden zu haben. Inklusive Pädaogogik setzt die Wertschätzung menschlicher Vielfalt voraus und zielt auf die Initiierung von Bildungsprozessen in heterogenen Gruppen und auf die volle gesellschaftliche Teilhabe.

Wir müssen uns ehrlich fragen: Findet diese an Schulen wirklich statt?

2. Berücksichtigung der Individualität der heutigen Jugendgeneration:

Das war auch der Grund, warum ich nach meinen bisherigen Beobachtungen im Informatikunterricht, das seit 2019 „Digitale Grundbildung“ heißt, im DigiFö-Kurs 90 Minuten für eine Kurseinheit verlangt habe. Wenn seit Jahren Begriffe wie „Individualisierung“ und „Differenzierung“ im Unterricht verlangt werden, dann soll man den Kindern die Möglichkeit geben, es auch wirklich zu haben. In 50 Minuten kann man nicht viel machen, wenn man noch die Zeit, die für das Verlassen der Klasse und das Aufsuchen des Computerraums berücksichtigt. Bis die Computer von allen Schüler:innen aufgedreht sind und eine Vermittlung von digitalen Inhalten durch einen Lehrerkörper startet, sind mindestens zehn Minuten verstrichen.

Dieser Unterricht wird auch straff nach einem vorgegeben Lehrplan angeboten. Kinder mit einem SPF benötigen für vieles mehr Zeit. Das wird im Schulalltag und im Unterricht oft vergessen.

Der DigiFö-Computerförderkurs gibt ihnen die Möglichkeit, ihre ihnen auch oft bewusste Schwächen zu kompensieren. Sie merken ja, wo sie sich schwerer tun als andere. Vor einem Laptop verzweifeln sie nicht, vor einem Schulbuch schon. Im Umgang mit Computer und diversen Lernprogrammen blühen sie auf. Denn ein digitales Gerät fasziniert jede Altersgruppe. Ob es sich um ein Smartphone, Tablet, I-Pad oder Laptop handelt.

Hier lernen sie sich von einer anderen Seite kennen. Hier geht es nicht darum, ob sie das 1×1 auswendig können, die Rechtsschreibung beherrschen oder ein Diktat unter Zeitdruck fehlerfrei schreiben. Hier setzen sie sich mit digitalen Inhalten auseinander, die ihre Neugier und intrinsische Motivation wecken. Und haben dabei keinen Leistungs- oder Notendruck.

Hier sind sie ihre eigenen „Chefs“. Beim Arbeiten am Computer entwickeln sie Selbstvertrauen, das gerade diesen Kindern fehlt.

3. Pädagogische Freiheit für Pädagog:innen

Im DigiFö-Kurs haben die Pädagog:innen die Möglichkeit ihre eigenen Ideen zur digitalen Bildung auszuprobieren und können sich nach den Interessen der Kinder richten. Wir müssen die aktuellen Jugendwelten verstehen. Die Bedingung dafür ist, dass sich die Pädagog:innen dafür interessieren und fortbilden. „Lebenslanges Lernen“ hält engagierte Pädagog:innen für alle Altersgruppen fit.

Ich habe als Sonderpädaogogin mit meinen Unterrichtsmethoden in allen Gegenständen nie Schwierigkeiten mit Kindern an Volks – und Mittelschulen gehabt, weil ich auf die jeweilige Altersgruppe angepassten Methoden ausprobiere und umsetze. Und immer wieder anpasse. Nur so kann ich auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Daher verlange ich in den Kursberichten, die mir von den Kursleiter:innen im DigiFö-Kurs geschickt werden, dass nicht nur festgehalten wird, was in der jeweiligen Kurseinheit gemacht wurde, sondern auch die Frage nach dem „Wie kam es bei den Kindern an?“ und „wo lagen die aktuellen Herausforderungen im Zusammenhang mit den durchgenommenen Inhalten?“. Da geht es um Reflexion der eigenen Methodik und Didaktik und um Evaluation, aber auch Transparenz. Nur so kann an Feinheiten gearbeitet werden und den Unterricht optimieren.

Auch im digitalen Unterricht wird Kindern schnell langweilig, wenn nur ein Frontalunterricht angeboten wird.

Die Kinder sollen und wollen alles selbst probieren. Alleine, zu zweit oder in einer Kleingruppe. Und plötzlich findet ein anregender Austausch zwischen den Schüler:innen statt. Da wird Inklusion im Computerraum gelebt.

Im DigiFö-Kurs sind deshalb meistens max. 15 Schüler:innen. Manche Kursleiter trauten sich auch 20 zu nehmen. Das ist dann schon eine Herausforderung, ob mit Kindern mit SPF oder ohne. Doch es werden immer zwei Schüler:innen an einen Laptop gesetzt. Die erfahrenen Kinder unterstützen die Anfänger.

Wo kann man sich informieren, was kann man beitragen?

Seit zwei Jahren wird DigiFö auf Facebook unter „DigiFö Wiener Schulen Community“ präsentiert und auch auf LinkedIn.

Auf Facebook können so auch die Schulleiter:innen und Pädagog:innen, die den Kurs an ihrer Schule gerade installiert haben, ihre eigenen Kursberichte mit Fotos verfolgen.

Auf LinkedIn ist die Leserschaft wesentlich größer und vielschichtiger. Manche Kursberichte werden von bis zu 200 Personen gelesen. Interessierte aus dem Bildungs- und IT-Bereich, nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und der Schweiz. Bildungsdirektionen in anderen Bundesländern, wissenschaftliche Assistenten an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, Journalisten, aber auch Personen die in politischen Organisationen tätig sind.

1,5 Jahren nach meiner ersten Öffentlichkeitsarbeit wurde auch eine parlamentarische Anfrage zum Thema „Digitale Bildung“ an Schulen gestellt. Bisher wurde diese nur ab der 7. Schulstufe angeboten. Und plötzlich wird seit September 2022 diese an Mittelschulen ab der 5. Schulstufe angeboten. Angeblich soll ab September 2023 auch an Volksschulen digitale Grundbildung angeboten werden. Lassen wir uns überraschen. Aber ich freue mich, wenn ich mit meiner Initiative einen Denkanstoß angeregt habe, was zu einer Umsetzung an den Schulen führte. Manchmal werde ich auch kontaktiert. Und Im August 2021 bin ich im Rahmen der „KIT-Initiative Deutschland“ vom Institut für Bildung, Innovation und Digitalisierung mit einem Zertifikat überrascht und in das „europäische Innovationshaus“ als Talent und Pionier der Gesellschaft aufgenommen worden.

Es gibt auch viel positives Feedback von Unternehmern. Eine österreichische Unternehmensberaterin für pädagogische Bildungseinrichtungen schrieb mir im Jänner dieses Jahres: „Es ist so wichtig, dass es Menschen wie Sie gibt“ Danke. Leider ist es so in Österreich, dass viele gute Ideen nicht angenommen und weiterunterstützt werden“.

Leider muss ich das bestätigen. Mein Pilotprojekt wurde an der damaligen Schule überhaupt nicht beachtet. Ich erlebte in den letzten zwölf Jahren die ich an den Schulen verbrachte viel Ablehnung meiner innovativen Ideen. Umso größer ist die Freude, es doch geschafft zu haben. Ich ließ einfach nicht locker.

Und plötzlich bedanken sich die Schulleiter:innen für „das tolle Projekt“ an ihren Schulen, das so unbürokratisch abgewickelt wird. Ich stehe als Ansprechperson während der gesamten Kursdauer allen zur Verfügung. Berate, begleite und am Ende werden sowohl die Kinder als auch die Pädagog:innen für ihr Engagement mit einer von mir entworfenen „DigiFö-Urkunde“ geehrt.

Ich denke das ist das, was die Gesellschaft heute braucht: Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeit. In jedem Bereich.

Diese Anerkennung spüre ich auch dann, wenn mir Unternehmen wie TTTech oder Unternehmer wie der Geschäftsführer von SPRINGBOARD – Verein zur Förderung von Talenten Laptops schenken, die ich an die Volksschulen zur Installierung des DigiFö-Kurses verleihen kann. Denn Volksschulen fehlt diese Ausstattung.

Als nach einem halben Jahr dann auch noch die AK Wien als Kooperationspartner und Hauptsponsor eingestiegen ist, musste ich mich nicht mehr auf die Suche nach Sponsoren dieser Kurse machen. Ich verbrachte Stunden mit Emailschreiben und verfasste Ansuchen um Sponsoring der Kurse. Am Anfang bekam ich Unterstützung von Freunden, die an der Universität Wien oder in der Firma EHL Immobilien arbeiten.

Auch international tätige Rechtsanwaltskanzleien waren an Bord, wie KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte.

Derzeit läuft auch eine Zusammenarbeit mit dem Verein Vamos. Es ist ein gemeinnütziger Verein mit insgesamt vier Standorten im Burgenland, der sich mit allen Themen der Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in allen Lebensbereichen befasst. Hier startete ein DigiFö-Kurs für die Klient:innen, die auf die berufliche Zukunft vorbereitet werden.

Ich spreche einfach solche Organisationen und Vereine an, weil sie mir auf LinkedIn auffallen, wenn sie über meine Initiative lesen, weil mir die Förderung der heutigen Jugend wichtig ist. Sie ist unsere Zukunft, auf die sie bestmöglich vorbereitet werden sollte. Dafür benötige ich Sponsoren. Die insgesamt 40 Laptops die ich geschenkt bekam, stelle ich dann zur Verfügung.

Somit kann man sagen, dass ich ein klein wenig expandiert bin, nämlich dorthin, wo seit zwölf Jahren mein Lebensmittelpunkt liegt.

Solange der Bedarf an Wiener Schulen da ist, wird DigiFö fortgesetzt.

Je mehr Leute mich dabei mit Öffentlichkeitsarbeit/Medienarbeit unterstützen, umso mehr wird die Notwendigkeit dieser Initiative sichtbar. Was eventuell eine Veränderung im Bildungssystem bewirkt. Der erste Schritt ist getan.

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