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Software (nicht Data) ist das neue Öl! Unplanbarkeit akzeptieren lernen

by Annecilla Sampt

Eric-Jan Kaak ist aktuell bei SPAR ICS mit Project Portfolio Management und Innovationsmanagement befasst. 2013 wurde er, damals als CIO von Blizzard, mit dem Confare CIOAWARD ausgezeichnet. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Auswirkungen neuer Technologien auf Organisationen und der Art und Weise, wie Menschen miteinander arbeiten. Anlässlich des Confare IT-Events InnovativeCIO haben wir ihn gefragt, welche Bedeutung Software für ein modernes Unternehmen hat, und wie sich dadurch die Anforderungen an IT, Innovation und Zusammenarbeit verändern.

Welche Rolle spielt Software auf dem Weg des Unternehmens zu Digitaler Reife? Wie sehen Sie die unterschiedliche Bedeutung von Standard vs. Individual Software?

Marc Andreessen, einer der Gründer von Netscape und Entwickler von Mosaic, einem der ersten Webbrowser, schrieb 2011 in The Wall Street Journal seinen berühmten Satz: “Software is eating the world”. Damit wollte er ausdrücken, dass die Zukunft in Software liegen wird. Software wird die Schnittstelle zwischen den Dienstleistungen des Anbieters und den Bedürfnissen der Kunden sein. Software (nicht Daten) ist das neue Öl – jede Firma ist am Ende des Tages ein Softwareunternehmen.

Industriegeschichtlich gesehen ist Softwareentwicklung eine noch sehr junge Disziplin. Es gibt immer mehr Softwareentwickler (und Softwareentwicklerinnen!), aber es gibt noch wenig Erfahrung. Die Menge an jungen Leute, die sich mit Software beschäftigen ist disproportional größer als jene, die viel Erfahrung aufweisen kann. Somit gibt es noch wenig Geschichte, die als Know-How Quelle dienen kann. Gleichzeitig ist die technologische Entwicklung schon so rasant, teilweise exponentiell wachsend, dass die technischen Restriktionen von gestern, morgen schon gelöst sind. Allerdings kommen die Softwarearchitekturen, die als Basis für Lösungen und Funktionen dienen, und in der Vergangenheit (mit ihren Restriktionen) entstanden sind, mit diesen Lösungsmöglichkeiten gar nicht mit. Business-Anforderungen, die in Echtzeit artikuliert werden, können nicht in Echtzeit erfüllt werden. Da liegt zukünftig ein großes Problem!

Systeme, deren Funktionen immer noch Sinn ergeben, deren Architektur aber nicht mehr, werden üblicherweise als Legacy bezeichnet. Viele Firmen schleppen diese Legacy Systeme jahrelang mit sich mit. Ich habe Systeme kennengelernt, die absolut essentiell für das funktionieren von Kernprozessen waren, allerdings eine Architektur aus 1987 hatten, lange bevor das Internet überhaupt bekannt war.

Wie sehen die Anforderungen an Technologie und Infrastruktur aus, um diese Transformation zu ermöglichen?

Softwareentwicklung ist eine utilitaristische Unternehmung: Es geht um Dinge, die angewendet werden. Software versucht das Verhalten von Menschen zu begleiten, und es gibt nichts Schwieriges als das Verhalten von Menschen vorherzusagen.

Früher hat man das dadurch gelöst, Standards zu schaffen und das Verhalten von Menschen in diese Standards hineinzuzwängen. Daraus entstanden Softwareumgebungen mit jeder Menge Funktionen, die teilweise schier unüberschaubar wurden. Wer sich noch an die ersten ERP-Systeme erinnern kann, weiß worüber ich hier spreche. Neue Softwarearchitekturmodelle sind da viel flexibler und ökonomisch sinnvoller. Moderne Microservices gepaart mit neuen Deploymentmodellen zu wesentlich geringeren (Reibungs)-Kosten schaffen völlig neue Möglichkeiten, Standard- und Individualsoftware zu koppeln. Wenn ich dann noch API-Modelle baue, wo unterschiedliche Softwareteile wie LEGO-Steine zusammengesetzt werden können, und das von Artificial Intelligence erledigen lasse, entstehen völlig neue Möglichkeiten, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.  Software wird in Zukunft selbst-adaptiv, hochgradig vernetzt, und das Ergebnis von Dataset Learning sein, nicht auf Basis eines von Menschen aktiv geplanten Funktionsbaukasten oder Architektur.

Einerseits braucht es dazu Technologien und darunterliegenden Architekturen, die in der Lage sind, sich kontinuierlich an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, andererseits braucht es auch “Sensoren”, die in der Lage sind, diese Veränderungen zu entdecken. Diese Sensoren können physisch eingebaute Sensoren sein, wie man sie in Maschinen und Autos findet. Es können aber auch Softwareteile sein, die Veränderungen im Verhaltensmuster der User aufgreifen, verarbeiten und darüber berichten.

Aus diesen Verhaltensmustern können dann Rückschlüsse gezogen werden und als Basis für weitere Verbesserungen dienen.

Welche Herausforderungen und Chancen bringt die Zusammenarbeit mit externen Software-Entwicklern dabei?

Was ich vorher gesagt habe, funktioniert allerdings nur, wenn man die “Herrschaft” über das eigene Produkt hat. Das Streben nach Ressourceneffizienz der letzten Jahre hat dazu geführt, dass sich zum Beispiel Maschinenbauer und die Automobilhersteller kontinuierlich in Outsourcing investiert haben und für die einzelnen Teile ihrer Produkte eine rein betriebswirtschaftliche make-or-buy Entscheidung getroffen haben. Das galt nicht nur für die mechanischen Einzelteile ihrer Produkte, sondern auch für die Software. Im Volkswagenkonzern wird aktuell nur 10% der in den Autos befindlichen Software ihrer 12 Marken im eigenen Haus hergestellt. 90% der Software wird von Zulieferern gebaut. In den Maschinenbaubetrieben ist die Situation nicht viel besser.

Es gilt daher, Softwareentwicklung als Kernkompetenz aufzubauen, wie es Volkswagen zurzeit macht. Da werden bis 2025 sieben Milliarden Euro in die Entwicklung einer eigenen Software für die Marken des Konzerns investiert. Alternativ dazu kann man neue Allianzen mit anderen Partnern bilden, in Startups investieren, sich an Softwareunternehmungen beteiligen, und, und, und. Lieferanten werden zu Partnern. Da ist auch ein Umdenken gefragt.

Es heißt, im Digitalen Zeitalter wird jedes Unternehmen zu einem Teil auch Software-Unternehmen sein. Welche Ressourcen, welches Wissen und welche Menschen braucht es dazu, um diesen Wandel erfolgreich zu meistern?

Damit wir damit in unserer Gesellschaft, in unseren Schulen, in unseren Organisationen umgehen können, braucht es einen Paradigmenwechsel, weg von der Planbarkeit, hinzu Akzeptanz der Unplanbarkeit. Veränderung ist das Tagesgeschäft, kontinuierliches Lernen der Weg dorthin.

Nachhaltige Innovation findet nicht über Produktentwicklungen statt, Innovation ist wirklich nachhaltig, wenn die Firma in der Lage ist, kontinuierlich am eigenen Geschäftsmodell (und der eigenen Organisation) zu arbeiten. Teil dieses Geschäftsmodells sind auch die Partner mit denen man arbeitet. Wenn diese Softwarepartner bisher “nur” als Lieferant betrachtet worden sind, aus denen man die letzten Paar Euro herausquetschen konnte und gleichzeitig aber Software zu einem immer wichtigeren Teil des zukünftigen Geschäftsmodells wird, wird das langfristig ein Problem werden.

Zweitens ist Software fast unbegrenzt skalierbar, Hardware ist es nicht. Wenn Software so eng mit dem eigenen Produkt verzahnt ist, dass Hard- und Software nicht getrennt werden können und als eine Einheit verkauft werden müssen, werden sogenannte Software-As-A-Service Modelle nicht funktionieren. Die Lösung ist dann, dass dann oft an proprietären Plattformen gebastelt wird. Ein Weg, der meistens nicht von Erfolg gekrönt ist, da Plattformmodelle eine völlig andere Dynamik und andere Geschäftsmodelle brauchen, als man bisher gewohnt war.

Was sind die organisatorischen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit zwischen IT, Kunden und Externen? Welche Methoden haben sich dabei bewährt?

Organisatorisch reicht es dann nicht mehr, die bestehenden Silos in der Organisation einzeln zu optimieren. Die Optimierung der Einzelteile führt unwiderruflich zu einer Suboptimierung des Gesamtsystems, wie Russell Ackoff schon richtigerweise gesagt hat. Die Dynamik der softwaregetriebenen Welt verlangt Entscheidungsstrukturen in Echtzeit, von Teams, die sich nah an den Bedürfnissen der Kunden befinden. Daher müssen die Teams auch befähigt werden, schnelle Entscheidungen zu treffen. Wir reden hier von einer völlig neuen Führungskultur, weg von Top-Down Entscheidungen und Bottom-Up Reportings.

Braucht es dafür wieder eine Organisationsänderung? Vor einigen Jahren hätte ich diese Frage bejaht. Inzwischen bin ich zu einer anderen Analyse gekommen.

Aus meiner Sicht muss sich das Management reorientieren. Das Management muss sich darauf konzentrieren, verstehen zu lernen, welche Bedürfnisse und Erwartungen Kunden haben und sich daher mehr auf Services für diese Kunden fokussieren. Wenn sie das verstanden haben, und die Welt mit einer Service-Brille betrachten können, gilt es zu verstehen, wie diese Services verlässlich an Kunden ausgeliefert werden können. Daraus kann dann ein “System” gestaltet werden, das man betrachten sollte als ein Ökosystem von einander verstärkenden Services, die einander kontinuierlich befruchten und ergänzen. Komplexe adaptive Systeme, die eine völlig andere Art der Führung und Steuerung brauchen, als die klassischen Command&Control Architekturen, die es derzeit gibt und die auf Planbarkeit getrimmt sind.

Was sind die entscheidenden Meilensteine dieser Transformation? Woran kann man Erfolg messen?

Wie wird das gemacht? Welche Meilensteine gibt es da? Diese Frage geht wieder von einer Planbarkeit aus. Veränderung als Projekt sozusagen. Spoiler Alert: da gibt es kein Kochbuch, keine Rezepte.

Die Beratungsbranche hat “Digitale Transformation” inzwischen als Geschäftsfeld entdeckt und richtet mit ihrem Standard-Tool-Baukasten enorme Schäden in den Unternehmungen an. Es gibt jede Menge Frust, die aus diesen Transformationsprojekten entstanden sind.

In Deutschland gibt es inzwischen Kurse, wo man sich in 3 Tagen zum “Agile Transformation Architect” ausbilden lassen kann, wo “in kompakter Form das notwendige Grundlagenwissen [vermittelt wird] , um die agile und digitale Transformation eines Unternehmens vorbereiten und begleiten zu können.”

Drei Tage! Echt jetzt? Das kann nicht funktionieren.

Angetrieben durch die Technologien des 21. Jahrhunderts befinden sich Firmen in einem hochdynamischen Umfeld. Die darin befindlichen Systeme können mit den Lösungen der “Best Practices” nicht mehr beherrscht werden.

In diesem Fall sind Tools, Standardisierung, Regeln, Strukturen oder Prozesse keine hinreichende Antwort, wenn es um Probleme und Problemlösung geht. Gerade die Methoden, die im Industriezeitalter nützlich waren, versagen: In einem komplexen Umfeld geht es nicht um die Frage, wie ein Problem gelöst wird, sondern wer das tun kann. Deswegen werden erfahrene Menschen bedeutsam. Menschen mit Skills und Ideen.

Apollo 11 war 97% der Zeit auf ihrem Weg zum Mond nicht auf dem geplanten Kurs unterwegs, die Astronauten waren aber in der Lage den Kurs kontinuierlich anzupassen. Wären sie stur auf dem berechneten Kurs geblieben und hätten 1% Abweichung in Kauf genommen, hätten sie den Mond um 6.000 Kilometer verpasst.

Vergessen Sie den großen Plan, kreieren Sie eine klare Vision und machen Sie viele kleine Schritte dorthin.

Und Metriken? Es gibt aus meiner Sicht nur 3, die wichtig sind:

  • Mitarbeiterzufriedenheit
  • Kundenzufriedenheit
  • Cash-Flow

In dieser Reihenfolge.

Also: Geht dorthin zurück, was euer Unternehmen heute schon ausmacht – zurück zu den Menschen, die es im Unternehmen schon gibt und unterstützt sie in ihrem Streben, immer besser werden zu wollen. Das wollen sie nämlich. Und sie haben es verdient! Aber vor allem: Hört bitte auf, irgendwelche Methoden als neue Heilsbringer zu betrachten. Traut euch einfach, wieder Mensch zu sein, und macht das zusammen.

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