Wolfgang FRANZ ist seit 20 Jahren IT-Journalist und Autor von kulturgeschichtlichen Büchern. Seit Anfang 2018 Schöpfer und Chefredakteur von “transform! – Das Magazin für den digitalen Wandel”. Seine Spezialität: Storytelling im IT-Umfeld. Dabei bedient er sich nicht nur aktueller Bilder, sondern auch jener aus vergangenen Epochen, die wie die industrielle Revolution einen starken transformativen Charakter aufweisen. Im Vorfeld der Confare Konferenz IDEE 2018 haben wir ihn über die schlimmsten Fehler im IT-Marketing gefragt.
Die IT-Branche steht vor der Herausforderung, komplexe Themen zu kommunizieren. Was sind aus Deiner Sicht die Kardinalfehler im IT-Marketing?
Wir leben in einer unglaublich spannenden Zeit, die an die Ära der großen Erfinder und Pioniere der industriellen Revolution erinnert. Möglich machen das heute die IT-Branche und jene genialen Köpfe, die es schaffen, mit digitalen Werkzeugen Unternehmen neu zu erfinden, die Art der Kommunikation und Zusammenarbeit zu revolutionieren oder komplett neue Geschäftsideen auf Schiene zu bringen.
Doch bei der Kommunikation der IT-Branche selbst, die von Aussendungen bis zur Gestaltung von Benutzeroberflächen reicht, ist von diesem innovativen Geist noch wenig zu spüren. Dieser Widerspruch in dem, was die IT-Branche verspricht, und dem, wie sie sich selbst präsentiert, macht aus meiner Sicht den größten Fehler aus. Alle anderen Versäumnisse sind eine direkte Folge davon. Man verspricht etwa, die Komplexität in der Unternehmens-IT zu reduzieren, bedient sich aber dabei einer höchst komplexen Kommunikation. Man redet davon, den Menschen in den Mittelpunkt seiner Geschäftsstrategie zu stellen, präsentiert sich selbst aber als seelenloser Koloss.
Die IT-Branche könnte sich viel von anderen Bereichen wie etwa der Automobilbranche abschauen, die den Wandel von einem reinen Technologieanbieter hin zu einem fixen Teil unseres emotionalen Spektrums schon vor langer Zeit geschafft hat. Dabei geht es nicht darum, lifestyliger zu werden – das funktioniert im IT-Consumerbereich ohnehin schon sehr gut –, sondern um klare, einfache Botschaften. Es sind nicht die Funktionen selbst, die zählen, sondern die Möglichkeiten, die damit verbunden sind. Wenn das sogar ein Möbelhersteller schafft, der sein Geld mit folierten Pressspanplatten verdient, dann sollte das für die IT-Branche, die die Speerspitze unseres Fortschrittes ist, eigentlich ein leichtes sein.
Du selbst hast Dich intensiv mit den Themen Storytelling und Content Marketing auseinandergesetzt. Welche Bedeutung haben diese Themen für modernes Marketing in der IT-Branche?
Die Bedeutung von Storytelling ist noch sehr gering. Ein typisches Beispiel sind die Case Studies, die sich perfekt für die neue Art der Kommunikation anbieten würden. In der Praxis laufen sie stets nach dem gleichen traditionellen Vorher-Nachher-Schema ab. Der wichtigste Teil aber – der Wandel von einem Zustand zum anderen, der immer mit technischen wie organisatorischen Herausforderungen verbunden ist – wird fast vollständig ausgespart. Wenn man bedenkt, dass eine gute Geschichte zu rund 90 Prozent aus der Beschreibung dieser Transformation besteht und das Vorher und Nachher nur angedeutet werden, dann lässt sich leicht abschätzen, wie schwer dieses Versäumnis wiegt.
Beim Content Marketing sieht die Sache deutlich besser aus. Viele Firmen haben bereits begonnen, diesen begrüßenswerten Weg zu gehen. Die Bremser dieser Entwicklung sehe ich einerseits darin, dass Personen zu Wort kommen, die zwar eine hohe Position im Unternehmen einnehmen, aber inhaltlich nicht viel zu sagen haben und Allgemeinplätze herunterbeten. Andererseits kann es leicht passieren, dass Content Marketing zu einem SEO-dominierten Dogma verkommt, das wenig Freiraum für Kreativität und Persönliches inklusive Ecken und Kanten lässt.
Was macht gekonntes Content Marketing aus?
In einem aktuellen Fernseh-Spot bietet ein Waschmittelhersteller statt den üblichen Sauberkeits-Superlativen einen simplen, aber effektiven Sicherheitstipp für Eltern, damit der herumkrabbelnde Nachwuchs nicht unabsichtlich an den giftigen Stoff gelangt. Das ist gekonntes Content Marketing. Es schafft einen höchst emotionalen Einstieg, indem es die Ängste der Zielgruppe anspricht, und bietet gleichzeitig eine Lösung an. Damit ist auch der Nutzfaktor hoch. Perfekt. Man erspart den Zusehern damit jede Art der sonst üblichen Selbstbeweihräucherung.
Mit Content Marketing verschiebt sich der Fokus weg vom Produkt hin zu den Menschen, die hinter dem Produkt stehen. Von zentraler Bedeutung sind das Knowhow und die Erfahrung, die sich die Mitarbeiter des Herstellers über Jahrzehnte angeeignet haben und nun mit der Zielgruppe teilen. Wen hättest Du als Freund lieber? Der Dir aus seiner Erfahrung heraus wertvolle Tipps geben kann oder der Typ, der ständig damit prahlt, der Schönste und Beste zu sein? Gutes Content Marketing macht Werbung sympathischer, unaufdringlicher und auch ein wenig wertvoller. Überspitzt formuliert: Es lässt Marketing verschwinden, zumindest vordergründig.
Wie kann man Storytelling in einer Technologie-geprägten Branche umsetzen? Was für Geschichten gibt es denn abseits von Functions und Features zu erzählen?
Wenn Du mich das vor 10, 15 Jahren gefragt hättest, wäre die Antwort sehr kurz ausgefallen. Das hat sich mit der Digitalen Transformation zum Glück massiv verändert. Da sie keinen Bereich des Lebens unberührt lässt, findet man überall Geschichten und ist damit in der glücklichen Lage, jene Themen zu behandeln, die einen am meisten faszinieren, egal ob Wirtschaft, Wissenschaft, Politik oder Gesellschaft – immer unter der Prämisse, dass die Technologie die treibende Kraft ist.
transform! heißt das neue Format, das die digitale Transformation in Unternehmen begleiten soll. Was ist zu erwarten?
Das Magazin transform! tritt an, um aus den vielen Bausteinen, die in jedem Unternehmen verstreut schlummern oder hinter jeder Idee stehen, Geschichten zu machen und damit – aus der Vogelperspektive – quasi die Geschichte der Digitalen Transformation zu schreiben. Die Bilder und Analogien, die wir damit schaffen, dienen nicht nur einem Selbstzweck, sondern sollen auch die interne und externe Kommunikation im IT-Umfeld unterstützen.
Wer z.B. ein großes Digitalisierungsprojekt vorhat, der braucht Geschichten, um es für die Geschäftsführung und die Mitarbeiter möglichst greifbar zu machen. Je komplexer das Projekt und je größer die Auswirkungen auf die Organisation sowie den Einzelnen, desto notwendiger ist es, in Bildern zu denken und zu kommunizieren. Denn Menschen lernen am leichtesten über Geschichten, da die emotionale Komponente hier eine wesentliche Rolle spielt. Das war vor Tausenden Jahren so und ist heute nicht anders.
transform! hat als traditionelles Printmagazin begonnen, ein ideales Medium, um Lesegeschichten zu konsumieren. Im Sinne der Transformation werden auch wir uns weiterentwickeln und Schritt für Schritt weitere Kanäle je nach Content hinzunehmen. Ebenfalls im Geiste des Wandels sind neue Geschäftsmodelle, wie etwa Beratung. Denn unsere Expertise, die wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben, heißt Storytelling im IT-Umfeld, das wir nun anderen zur Verfügung stellen wollen.