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Reinhard Riedl, Berner FH: Gärtli-Denken verhindert KI-Einsatz mit Impact

by Yara El-Sabagh

 OUT NOW im #Confare Blog mit Reinhard Riedl, Berner FH:
Gärtli-Denken verhindert KI-Einsatz mit Impact

Prof. Reinhard Riedl ist Herausgeber des Wissenschaftsblogs Societybyte der Berner Fachhochschule, kommentiert in diversen Publikationen digitale Entwicklungen, begleitet Organisationen wissenschaftlich in Digitalprojekten und forscht rund um die Transformation von Gesellschaft und Unternehmen. Wir wollten von ihm wissen, wie er den Hype rund um KI und ChatGPT beurteilt und was für einen Impact der auf Innovation und Digitalisierung in Schweizer Unternehmen haben wird.

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Wie wichtig sind denn Daten und künstliche Intelligenz schon heute in den Unternehmen?

kiDie Situation ist sehr heterogen. Zwar spielen in allen Unternehmen Daten verschiedene Schlüsselrollen, aber sie werden unterschiedlich konsequent bewirtschaftet. Ziel sollte eine strategisch gesteuerte Datenbewirtschaftung sein, welche gezielt Daten anlegt, zukauft, auswertet, teilarchiviert und teilentsorgt und Auswertungen und Auswertungswerkzeuge allen zentral zur Verfügung stellt. Der Erfolg sollte gemessen und regelmässig analysiert werden, um permanent Anpassungen der Umsetzung und sporadisch Neuausrichtungen der Bewirtschaftungsstrategie vorzunehmen. Unternehmen in der Champions League erreichen dieses Ziel zu bis zu zwei Drittel. Sehr gut, aber nicht top aufgestellte Unternehmen realisieren Teile davon erfolgreich, führen diese aber nicht konsequent ein. Die Hauptschwierigkeit ist, dass konsequente Führung viel Neugier braucht und Zeit kostet. Man muss sich um sehr Unterschiedliches kümmern: Daten, Algorithmen, Technologien, Menschen die alles nutzen, rechtliche Compliance-Strategien, das Funktionieren der Organisation und die Kommunikation und Vermittlung des Nutzens.

Die grosse Masse der Unternehmen ist weit davon entfernt, obige Ziele zu erreichen. Sie generiert Nutzen durch die Datennutzung, aber es fehlt das Big Picture, weil die Führungskräfte die Zeit und vielleicht auch die Skills nicht haben und weil ein Gärtli-Denken herrscht. Man ist intern dienstleistungsorientiert, will aber nicht die Kontrolle abgeben. Deshalb werden die Mitarbeitenden nicht befähigt, proaktiv selbst Daten auszuwerten.

In Bezug auf KI ist die Situation ein wenig anders. Das beginnt schon damit, dass niemand definieren kann, was KI ist. Oft ist „so etwas wie KI“ unerwartet anzutreffen, wo niemand damit rechnen würde – beispielsweise auf dem Pult einer praktischen Ärztin. Gleichzeitig kommt der KI-Einsatz im Gesundheitswesen kaum vorwärts. Selbst dort, wo statistisch betrachtet Menschleben gerettet werden könnten, trifft die Einführung von KI auf grosse Hindernisse. Erst dann, wenn es um das Leben konkreter Menschen geht, beispielsweise in der experimentellen Onkologie, ist die Bereitschaft plötzlich hoch, alles auszuprobieren, was eventuell helfen könnte.

Generell wird KI nur sehr partiell eingesetzt, aber das dafür schon lange. Gemüsesortiermaschinen mit KI sind in der Landwirtschaft schon seit fast zehn Jahren im Einsatz. KI-Übersetzungen werden mittlerweile recht breit genutzt, leider auch unsachgemäss. Und wenn man durch Unternehmen geht, findet man immer wieder irgendwo eine KI. Aber grosse Wirkung entfaltet das kaum. Dazu bräuchte es ein strategisches Denken bei der Nutzung von KI. Dieses existiert bislang aber nur bei den wenigsten Unternehmen. KI wird nicht mit der Lösung systemischer Probleme in Zusammenhang gebracht. Damit bleiben KI-Lösungen Inseln mit eher marginaler Bedeutung.

ChatGPT zeigt die Potenziale, dass Automatisierung auch in der Kommunikation noch viel weiter gehen könnte, als wir es bis heute erlebt haben. AI erfährt intensive Aufmerksamkeit. Hast Du mit dieser Entwicklung gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe ChatGPT erst ernst genommen, als ich im November von Kolleginnen aus Zürich angefragt wurde, ob ich Interesse an einem Austausch hätte. Mittlerweile habe ich verschiedene Projekte dazu und bin oft damit konfrontiert, als Panelist, als Autor und natürlich als Dozent. Unter anderem wird ChatGPT Thema sein beim 5. Praevenire Digital Health Symposium am 20. Und 21. April in Wien, bei dem die Stakeholder des Gesundheitswesens den Einsatz von KI und Robotern in allen Lebenslagen diskutieren werden, sowie auch das zentrale Thema Datensicherheit. Und für Swissuniversities arbeiten wir an einer Auslegeordnung zu ChatGPT an Hochschulen. Zusammen mit den Kolleginnen bereite ich auch längerfristig angelegte Forschung vor, welche unter anderem Designperspektiven und anthroplogischen Perspektiven betrachtet.

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Haben sich die Perspektiven für AI im Unternehmen durch den ChatGPT Hype verändert?

Das Wissen über die spezifischen Herausforderungen, Chancen und Risiken wird grösser. Wissenschaftlich etablierte Erkenntnisse schaffen es jetzt häufiger in die Medien. Es gibt einen Bottom-up Druck, die digitale Transformation endlich anzugehen, weil die Menschen ChatGPT einfach nutzen. Es ist nicht mehr so einfach wie früher, das Potenzial von KI gänzlich zu ignorieren. Viele fühlen sich deshalb aber sehr unwohl. Für mich ist das spannend, weil ich digitale Transformation als kulturellen Prozess betrachte, in dem Narrative, politische Ästhetik und Veränderungen der Wertvorstellung eine grosse Rolle spielen. Es ist ja eigentlich unverständlich, warum nützliche Veränderungen oft jahrelang nicht geschehen – sei es das digitale Werkzeuge nicht eingeführt werden, sei das sie nicht genutzt werden sei es das die Nutzung so ungeschickt ist, dass kein Nutzen entsteht. Schaut man sich die kulturellen Aspekte genau an, wird einem plötzlich klar, was die Probleme sind: Beispielsweise kann sich die Ausbildung blockierend auswirken, weil sie Wertvorstellung so vermittelt, dass es aussergewöhnliche charakterliche Eigenschaften braucht, damit der Nutzen von digitalen Werkzeugen erkannt wird. Darum, wegen der überall zu beobachtenden Probleme bei der digitalen Transformation, sehe ich den Hype um ChatGPT als Window of Opportunity an, ein Umdenken zu provozieren – nach dem alten CIO-Prinzip „Jede Krise eine Chance, jeder Skandal ein Tor in die Zukunft!“

Wird AI nun tatsächlich der Job-Killer?

Es gibt einen ökonomischen Analyseansatz von Acemoglu und Restrepo, mit dem die Auswirkung von Technologie auf Jobs rückwirkend untersucht werden kann. Er zeigt, dass auch in Bezug auf die Schaffung und Zerstörung von Jobs plus/minus das Jahr 1990 die grosse Wende brachte, so wie im Fall der Globalisierung. Die Politik interessiert das jedoch kaum, weil sich daraus keine Handlungsempfehlungen ableiten lassen.

Für mich ist die Innovationskraft entscheidend, die Kreativität in Bezug auf neue Geschäftsmodelle. In jenen Sektoren, in denen mittels KI neue Dienstleistungen erfunden werden, wird die KI mehr Jobs schaffen als zerstören. Dort wo es keine Innovationen gibt, beispielweise weil die Unternehmen zu bequem sind oder die Vertreter*innen der Fachberufe die Nutzung von KI ablehnen, dort wird zuerst die Zahl der Jobs zurückgehen und am Ende werden die meisten Unternehmen vom Markt verschwinden. Bei einfachen Tätigkeiten wie bei hochkomplexen Tätigkeiten stellt sich schon heute die Frage, ob es in Zukunft noch Unternehmen braucht oder ob Plattformen genügen. Wenn KI die Jobs mittlerer Qualifikation automatisiert, untergräbt das aber auch die Existenzgrundlage von Unternehmen, die hauptsächlich Mitarbeitende mittlerer Qualifikation beschäftigen.

Für die Fachberufe empfiehlt sich, die KI zu umarmen statt sie zu verdammen. Über kurz oder lang wird sie so oder so für die Automatisierung fachlicher Tätigkeiten genutzt werden. Wenn Fachberufe durch Nutzung der KI sich jedoch weiterentwickeln, können neue Dienstleistungen entstehen. Am Ende kann es gelingen, mehr neue Jobs zu schaffen als durch die Automatisierung verloren gehen. Controlling, Accounting und Reporting ist ein illustratives Beispiel: Vor 50 Jahren waren seine Zukunftsaussichten trübe, aber es erlebte durch die Digitalisierung einen regelrechten Boom.

Welche neuen Karrierepfade entstehen durch Daten und KI gerade?

Zuerst einmal die offensichtlichen. Auch wenn es länger dauert als wir noch vor drei, vier Jahren dachten, wird es neue Spezialisierungen in der IT im Feld der Datenbewirtschaftung geben: Big Data Strateg*in, IT-Architekt*in mit Fokus Datensystem, Maschinenintelligenz-Trainer*in & Qualitätsmanager*in, KI-Schnittstellenspezialist*in, KI-Integrator*in in Geschäftsprozesse,  KI-Nutzungstrainer*in & -berater*in, et cetera.

Danach bieten sich neue Karrierechancen für Unternehmensarchitekt*innen. Sie bekleiden oft weitgehend ignorierte Stabstellen. Man weiss, dass es sie gibt, aber das ist oft auch schon alles. Wenn sie geschickt sind, werden Unternehmensarchitekt*innen die Trends zu Big Data, KI und APIs nutzen, um mehr Einfluss im Unternehmen zu bekommen. Denn die Datenbewirtschaftung betrifft die Geschäftsarchitektur und die IT-Architektur gleichermassen. Derzeit ist niemand so richtig zuständig und es fehlt eine multidisziplinäre Betrachtungsweise, welche ökonomische, technische, rechtliche, kulturelle und ethische Perspektiven gleichermassen und integriert betrachtet. Allerdings müssen die Unternehmensarchitekt*innen lernen, verständlicher zu kommunizieren.

Last but not least wird es in fast allen akademischen Fachberufen den Karrierepfad der Datenspezialist*in geben. Datafizierung ist in der Geschichtswissenschaft genauso essentiell wie im Sportcoaching, im Journalismus so zentral wie in der Kunstkuratierung. Auch in Bereichen wie der Schulbildung, in denen es primär um die Nutzung digitaler Präsenztechnologien, wird Datafizierung noch spürbare Veränderungen verursachen. Entsprechend wird es dafür neue Karrierepfade geben.

Mit welchen Tools und Möglichkeiten sollte man sich jetzt vertraut machen?

Gute Frage. Soll man lernen, ChatGPT professionell zu nutzen oder darauf warten, dass die Technologie mit Schnittstellen angeboten wird, welche besser für das professionelle Textproduzieren geeignet ist? Ich würde sagen: je nach persönlicher Präferenz.

Für Neugierige: theresanaiforthat.com! Es gibt aktuelle viele frei verfügbare KI-Werkzeuge für Texte, Bilder und Videos. Mit KI und Echtwelt-Vorbildern sogenannte Deepfake Videos zu produzieren, kann sehr zeitaufwändig sein. Generell verliert man mit fast allen KI-Werkzeugen beim Spielen viel Zeit. Ein wenig Erfahrung sammeln macht Sinn, diese alle paar Monate upzudaten auch. Aber darüber hinaus würde ich digitale Werkzeuge nur in einem professionellen Kontext ausprobieren, um zu prüfen, ob eine Einführung tatsächlich Nutzen bringen könnte. Im Fall ja würde ich nach dem effizientesten Weg suchen, die Nutzung zu erlernen. Wenn es um eine grössere Gruppe geht, sollte man dabei auf Coaching setzen. Das kostet etwas, spart aber viel Zeit.

Neben Zeit sind auch Skills notwendig. Ein nutzbringender Einsatz von KI braucht Knowhow, Wissen und Reflexion. Oft macht man die Erfahrung, dass neue Perspektiven die fehlenden Grundkompetenzen brutal offenlegen. Es kommt beispielweise häufiger vor als man glaubt, dass die Mitarbeitenden nicht wissen, was der Existenzgrund ihres Unternehmens ist und womit es Wert schafft. Solange sie gut erprobte Praktiken ausführen, fällt das nicht auf. Wenn sich aber die Praktiken durch neue digitale Werkzeuge verändern, kann es zum Problem werden. Wenn ich als Unternehmen auf KI setzen will, sollte ich dementsprechend ein kleines Betreuungsteam aufbauen, das Experimente unterstützt und coacht und die Geschäftstätigkeit des Unternehmens gut versteht.

Welche Rolle soll KI denn jetzt in einer Digitalstrategie eines Unternehmens spielen?

Bevor KI in die Digitalstrategie eines Unternehmens aufgenommen wird, sollten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Führungskräfte und Fachexpert*innen müssen verstehen, wie KI funktioniert – und zwar so gut, dass sie in ihrem eigenen Verantwortungsbereich analysieren können, wo in Zukunft ein KI-Einsatz Sinn machen könnte. Das bedeutet nicht, dass alle datenwissenschaftliche Aspekte verstanden werden müssen, aber das Wesentliche schon.

Wenn dieses Verständnis vermittelt wurde, kann man sich auf die Suche nach Anwendungsmöglichkeiten begeben – getreu dem Prinzip: Ich habe die Lösung, wo ist das Problem dazu. Viele trauen sich nicht, schämen sich sogar, mit der Lösung nach dem Problem zu suchen. Diese Scham ist aber unbegründet. In der Technikgeschichte war oft zuerst die Lösung da, bevor das Problem dazu entdeckt wurde. Zuerst wurde Stahl für scharfe Messer erfunden (zugegeben ein Nebenprodukt von F&E zu Schwertern für den Krieg), danach entdeckten die Bader, dass man damit Leichen aufschneiden kann und so das Innere des menschlichen Körpers erkunden. Das führte irgendwann zu moderner Medizin und Chirurgie, wobei als Zwischeneffekt die Leichenfledderei auf den Friedhöfen stark anstieg.

So stellt sich also für die KI heute die Frage: Was können wir neu damit machen? Was können wir effizienter und besser damit machen, aber auch: was können wir damit machen, was früher unmöglich war. Diese Frage sollte jedes Unternehmen für sich erforschen – und die überzeugendsten Antworten darauf in die Digitalstrategie aufnehmen. Sinnvollerweise beobachtet man dann bei der Umsetzung der Strategie mögliche „Zwischeneffekte“, achtet darauf das kein unethisches Verhalten resultiert und auch keine negativen Narrative sich entwickeln.

Welchen Beitrag kann die Unternehmens-IT dabei leisten? Wie sieht die unternehmens-interne Rollenverteilung aus?

Der wichtigste Beitrag der Unternehmens-IT ist die Befähigung des Business zum Selbsthandeln. Sie muss in der Experimentierphase das zuvor erwähnte kleine Betreuungsteam und später ein umfassend ausgestattetes  Unterstützungsteam bereitstellen, das Abteilungen im Business sowohl in der skizzierten Analysephase als auch bei der Umsetzung von Projekten optimal betreut. Dieses Team sollte Wirtschaftsinformatik-Kompetenzen besitzen, sehr dienstleistungs- und menschenorientiert sein und sowohl mit dem Business als auch mit der IT und Datenwissenschaftler*innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten können

Getrennt davon sollte man ein eigentliches Umsetzungsteam bereitstellen, welches aus Datenwissenschaftler*innen besteht und die KI-Lösung designt und trainiert. Dieses Team sollte IT und Mathematikkompetenzen besitzen und das Qualitätsmanagement beherrschen. Hier finden echte Nerds ihr Betätigungsfeld. Idealerweise sind aber alle teamfähig.

Möglich ist, beide Teams zu einem zusammenzufassen. Aber damit handelt man sich Herausforderungen ein, die man als Technologie-Vorreiter vielleicht nicht bewältigen will. Nerds auf interne Kund*innen loszulassen, ist keine Option, auf Nerds zu verzichten, ist es auch nicht. Weitere Möglichkeiten sind, das Umsetzungsteam outzusourcen und das Unterstützungsteam extern coachen zu lassen. Beides ist möglich.

Das Unterstützungsteam gänzlich outzusourcen ist aber eher nicht zu empfehlen, denn dessen Mitglieder müssen das Kerngeschäft sehr gut verstehen und spielen eine zentrale Rolle im digitalen Transformationsprozess.

Um auf die Rolle der Unternehmens-IT zurückzukommen. Selbstverständlich muss sie auch gute technische Voraussetzungen schaffen. Ohne Datenverarbeitungsinfrastruktur und ohne gute funktionierendes Datenökosystem ist es sehr schwierig, KI breit einzusetzen. KI lebt vom Vorhandensein von Daten – eigenen und allenfalls zugekauften. Wer es nicht schafft, Daten in hoher Qualität für das Trainieren der KI bereitzustellen, kreiert unverhältnismässig hohe Kosten für jedes einzelne Umsetzungsprojekt. Das mag im Experimentierstadium angehen, langfristig ist es nicht finanzierbar. Neben der Befähigung des Business ist also die zweitwichtigste Aufgabe der Unternehmens-IT, eine kostengünstige Umsetzung der KI-Strategie zu ermöglichen.

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