Exklusiv im #ConfareBlog mit Aylin Sophie Koc, Allianz:
Psychologische Sicherheit und kooperative Führung ermöglichen den Erfolg diverser Teams
Aylin Sophie Koç ist Project Manager Digital Business Strategy bei der Allianz in Wien und eine jener engagierten Frauen, die beim Confare Female IT-Mentoring Know-how, Erfahrungen und Ratschläge an weibliche High Potentials weitergeben. Anlässlich des Confare #CIOSUMMIT Wien haben wir mit Aylin über Patriachat, Frauen-Quoten und die Erfolgsvoraussetzungen für diverse Teams gesprochen.
Das fabelhafte Female IT-Mentoring auf dem Confare #CIOSUMMIT verpasst? Das sind die nächsten Möglichkeiten:
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Machtstrukturen / Patriachat im Unternehmen – Wie geht man damit um? Welche Empfehlungen hast du an Frauen in der IT?
Aylin Sophie Koc: Im „daily Business“ ist es oft schwierig gegen patriarchale Machtstrukturen aufzubegehren, da viele Muster internalisiert wurden und damit teils nicht hinterfragt werden, wie etwa Meetings, bei denen Männer einen höheren Redeanteil beanspruchen als ihre Kolleginnen, um nur ein Beispiel zu nennen. Und ja, das Patriarchat ist nach wie vor sehr präsent, wie wir unter anderem am Gender-Pay-Gap sehen, der laut Eurostat (2021) in Österreich bei rund 19% liegt und damit Österreich im EU-Schnitt einen der größten Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen aufweist.
Daher haben aus meiner Sicht primär Unternehmen die Verantwortung, diese Strukturen aufzuweichen. Das diversere Besetzen von Entscheidungsgremien zur Verteilung der Entscheidungsmacht genauso wie das Einführen eines internen Netzwerks, das sich für Gleichberechtigung engagiert, können effektive Maßnahmen sein. Wichtig aus meiner Sicht ist vor allem, dass Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen die psychologische Sicherheit und den Raum geben, diese Themen angstfrei ansprechen zu können.
Aber natürlich haben wir als Frauen auch Eigenverantwortung. Mein Appell also, solche geschaffenen Kommunikationsräume aktiv zu nutzen und Ungerechtigkeiten zu kommunizieren. Mein Anliegen ist auch, dass Frauen am Arbeitsplatz zusammenhalten – egal ob in der IT oder in anderen männerdominierten Bereichen – und nicht gegeneinander arbeiten. Als Einzelgängerin stelle ich es mir schwieriger vor, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Im Kollektiv kann das besser klappen. Im Idealfall bauen Frauen ein Netzwerk für gegenseitigen Support auf.
Was macht eine erfolgreiche Führungskraft in einem diversen Team aus?
Aylin Sophie Koc: Zunächst einmal möchte ich betonen, wie wichtig diverse Teams sind. Studien zeigen, dass heterogene Teams erfolgreicher als homogene Teams sind – sie sind innovativer und treffen bessere Entscheidungen. Diverse Teams sind also ein Schlüssel zum Erfolg und mit divers meine ich nicht nur unterschiedliche Geschlechter, denn Diversität hat viele Facetten, wie Alter, ethnische Herkunft sowie sozioökonomischer oder Bildungs-Hintergrund.
Deshalb ist es so wichtig, dass Führungskräfte Vielfalt fördern – am besten durch vielfältiges Führen. Vor allem ist dabei Empathie von entscheidender Bedeutung. Durch die Fähigkeit, sich in die Perspektiven verschiedener Teammitglieder hineinzuversetzen, kann eine Führungskraft ein inklusives Umfeld schaffen, in dem sich alle Mitarbeiter*innen gehört und geschätzt fühlen.
Das geht auch einher mit einer offenen Kommunikation und Dialogorientierung. Wenn unterschiedliche Standpunkte nicht nur respektiert, sondern aktiv mit einbezogen werden, schafft dies eine Atmosphäre des Vertrauens und des Zusammenhalts, die wiederum die Kreativität und Innovationskraft des Teams und letztlich des Unternehmens stärkt. – Ein Win-Win!
Auch Transparenz und Klarheit hinsichtlich Erwartungshaltungen und getroffener Entscheidungen sowie ein wertschätzender Umgang im Arbeitsalltag und gelebte Toleranz sind wünschenswert, um Vorurteilen keinen Raum zu geben.
Die Grundlage ist für mich ein kooperativer und partizipativer Führungsstil, der heutzutage nicht ohne Grund angesagt ist, denn solche Modelle zahlen auf die psychologische Sicherheit ein und machen es leichter, die vielen Vorteile von Diversität auszuschöpfen.
Umorientierung / Neuorientierung / Quereinstieg – Welche Perspektiven kann die IT bieten? Welche Erfahrungen hast Du mit Quereinsteiger*innen?
Aylin Sophie Koc: Vor dem Hintergrund der immer schneller voranschreitenden Digitalisierung und neuen Generationen, die quasi als „Digital Natives“ aufwachsen, lässt meiner Beobachtung zufolge das „nerdige“ Image der IT nach und spricht immer mehr und immer diversere Menschen an. Ausschlaggebend dafür ist aus meiner Sicht auch, dass wir durch neue digitale Tools, wie ChatGPT, oft selbst Creator sind und dadurch IT immer „alltagstauglicher“ wird.
Denn dass IT „nur“ Programmierer umfasst, die alleine in einer Ecke sitzend Codes entwickeln, ist ein Klischee, das erfreulicherweise zu bröckeln beginnt.
Ja, Developer sind natürlich eine essenzielle Berufsgruppe in der IT. Da gibt es jedoch noch unzählige andere Berufsbilder, für die Programmierkenntnisse weniger bis gar nicht benötigt werden. Angefangen von IT-Architekten über Business Analysten, Product Owner, Scrum Master bis hin zu IT-Beratern oder User Experience und User Interface Spezialisten – das Spektrum ist sehr breit und damit auch die Nachfrage an unterschiedlichen Hintergründen, Skill Sets und Attitudes.
Ich habe selbst einen wirtschaftlichen Ausbildungs-Background mit einem IBWL und Management Studium und habe damit meinen Platz zunächst bei einer großen IT-Unternehmensberatung gefunden. Dort habe ich in agilen und cross-funktionalen Teams mit Menschen zusammengearbeitet, die von ihrer Ausbildung nicht unterschiedlicher sein könnten. Von Psychologie über Jus und Wirtschaftswissenschaften bis hin zu Informatik oder Physik war alles mit dabei.
Somit traue ich mich zu sagen, dass für (fast) jede und jeden, die/der es wirklich möchte, die IT eine Job-/Entwicklungsmöglichkeit bieten kann. Voraussetzung ist natürlich ein gewisses Interesse an digitalen Themen sowie ein Growth Mindset.
Welche Bedeutung haben Quoten für Chancengleichheit?
Aylin Sophie Koc: Die Quote wirkt. 2018 wurden in Österreich Zielvorgaben hinsichtlich des Frauenanteils für Aufsichtsräte börsennotierter und großer Unternehmen eingeführt. Seither hat sich der Frauenanteil in diesen Betrieben deutlich erhöht (Arbeiterkammer, 2024). Hingegen in anderen Führungsebenen, wie Vorständen und Geschäftsführungen, in denen keine flächendeckenden Quoten-Regelungen bestehen, gibt es noch mehr als genug Luft nach oben. Diese sind nach wie vor häufig männerdominiert, obwohl immer mehr Frauen besser ausgebildet sind als je zuvor.
Auch wenn wir auf einem guten Weg sind und beispielsweise bei Neubestellungen heute öfter die Wahl auf eine Frau fällt als früher, ist das Tempo bis zur Zielgeraden aus meiner Sicht zu gering. Und das Ziel sollte sein, Frauen und Männer in ausgewogenem Verhältnis in Führungs- und Entscheidungspositionen vertreten zu haben – und zwar in allen Gesellschaftsbereichen, von Politik über Wissenschaft bis Wirtschaft.
Ein effektives Tool auf dieser Reise in Richtung Chancengleichheit kann das (freiwillige) Auferlegen und Offenlegen von Frauenquoten in Unternehmen sein. So gewinnt das Thema an Sichtbarkeit und schafft Fakten. Ich sehe Quoten jedoch als temporäres Mittel zur Normalisierung von Frauen in Führungspositionen.
Neben Quoten spielt aus meiner Sicht ein breites Spektrum an Maßnahmen eine Rolle, um Chancengleichheit zu erreichen. Angefangen von Aufklärungsarbeit, um bereits Mädchen frühzeitig zu empowern bis hin zur Sicherstellung von strukturellen Rahmenbedingungen, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Mit welchen Fragen sollten sich Unternehmen befassen, um für gerechte Chancenverteilung zu sorgen?
Aylin Sophie Koc: Ziel sollte es sein, ein Umfeld zu schaffen, in dem jeder Mensch unabhängig des Geschlechts erfolgreich sein kann. Denn alle Geschlechter profitieren von Gleichstellung und sind wichtig, um Chancengleichheit zu erreichen. Dabei tragen Unternehmen eine Verantwortung, die passenden Rahmenbedingungen für diesen Erfolg zu schaffen.
Die Fragestellungen sind dabei so vielfältig wie das Thema selbst: Angefangen von den „Basics“, wie einem inklusiven, und fairen Recruiting-Prozess, der einen unconcious Bias minimiert, bis hin zu internen Weiterentwicklungsmöglichkeiten (Talent Programme, Promotions etc.), die allen Mitarbeiter*innen in derselben Form offen stehen. Transparenz, Konsistenz und klare Leitplanken sind dabei key, sodass der Spielraum für ungleiche Behandlung möglichst verschwindend ist.
Die Sicherstellung von flexiblen Arbeitszeitmodellen sowie die Möglichkeit, dass beide Elternteile problemlos in Elternkarenz gehen können, sind Voraussetzungen für Chancengleichheit. Darüber hinaus ist eine leistungsbasierende Entlohnung sowie damit einhergehend, das Schließen des Gender Pay Gaps, ein zentrales Thema auf der Reise hin zu gerechter Chancenverteilung.
Um Lösungen für diese Fragestellungen entwickeln und umsetzen zu können ist es aus meiner Sicht unabdingbar, dezidierte Ressourcen für diese Themen bereitzustellen. Im Sinne des partizipativen Leadership-Ansatzes kann eine effektive Maßnahme sein, Netzwerke im Unternehmen zu etablieren, in denen sich alle Mitarbeiter*innen mit ihren Ideen und Initiativen für Chancengerechtigkeit engagieren können. Wir bei der Allianz haben z.B. das Allianz NEO eingeführt – ein Netzwerk zur Förderung der Chancengleichheit für alle Geschlechter.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein für Chancengleichheit ist, sich über gesetzliche Vorgaben hinaus einzusetzen und damit ein wahrhaftes, positives Engagement einzubringen. Das kann von selbstauferlegten Zielen im Hinblick auf Gleichstellung (z.B. Frauenanteil in Führungspositionen) bis hin zu freiwilligen „Equality Audits“ reichen.
Wie sehr darf die Diskussion rund um „Frauen in der IT“ polarisieren? Was kann man für ein konstruktives Miteinander tun?
Aylin Sophie Koc: Insgesamt sollte das mittelfristige Ziel meiner Ansicht nach sein, das Thema „Frauen in der IT“ zu normalisieren, sprich, dass „Frauen in der IT“ als „normal“ bzw. als „die Norm“ angesehen werden. In so einem Optimal-Zustand müssten dann keine Diskussionen zu dem Thema mehr stattfinden, denn das Geschlechterverhältnis ist dann (mehr oder weniger) ausgewogen.
Die Zahlen zeigen aber, dass wir noch nicht in diesem Optimal-Zustand angekommen sind: Im Jahr 2021 lag der Frauenanteil der unselbständig Beschäftigten im IKT-Sektor in Österreich bei knapp 29% (statista.at, 2024). Laut einer Studie des Verband Österreichischer Software Industrie (VÖSI), liegt der Frauenanteil im gesamten IT-Sektor sogar noch niedriger, bei etwa 18%. Gleichzeitig besteht ein enormer IT-Fachkräftemangel, der zu Wertschöpfungsverlusten von 4,9 Milliarden Euro im Jahr führt (wko.at, 2023). Dieser Gap zeigt deutlich, dass es noch viel zu tun gibt und dass der IT-Sektor es sich nicht leisten kann, auf Frauen zu verzichten.
Ein wichtiger Teil dieser Arbeit sind meiner Ansicht nach konstruktive Diskussionen rund um „Frauen in der IT“. Denn indem eine Plattform geboten wird, setzen wir uns nicht nur mit neuen Aspekten und Sichtweisen auseinander, sondern fördern auch aktiv ein potenziell breites Lösungsspektrum. Anstatt zu polarisieren, sollten diese Diskussionen allerdings einen gemeinsamen Konsens zum Ziel haben. Dem Thema „Frauen in der IT“ soll also Sichtbarkeit geschenkt werden, aber in einer Form, die unterschiedliche Stakeholder verbindet und nicht weiter voneinander entfernt. Miteinander statt gegeneinander lautet hier meine Devise.
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Genderhinweis:
Zur besseren Lesbarkeit dieses Blogartikels verwenden wir das generische Maskulinum. Die in diesem Blogartikel verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.